Dies ist die
Geschichte
Die mit der Wahrheit sich nicht verträgt,
Dies ist die Geschichte
Die in eure Gesichter schlägt.
(Und der Chor sang: "Dafür wirst du belohnt werden!")
Man sorgte
sich um mich
Man lehrte mich zu lieben
Ich sage die Wahrheit, weil man mich schlug
wenn ich log.
(Und der Chor sang:" Dafür wirst du belohnt werden!")
Es ist wahr,
daß ich nie log
Es ist wahr, daß ich nicht zu hassen weiß.
Es ist wahr, daß ich nie eine Antwort bekam.
Nie Liebe erntete.
(Und der Chor
sang:" Dafür wirst du belohnt werden!")
Stille... Nur ein tiefer Basston kroch über den Boden. Bica setzte
einen Fuß vor den anderen, holte tief Luft und beugte sich nach vorn,
dann schrie sie aus voller Kehle: "ABER WANN?" Die Fetten in der
ersten Reihe schraken zurück. Als Bica sich enstspannte und das Orchester
verstummte, klatschte die ganze Gesellschaft wie wild, Männer pfiffen
zum Leidwesen ihrer mitgebrachten Gattinnen. Bica winkte ab. Gerade als
sie ihr nächstes Lied singen wollte, ein Liebeslied, ging die Tür
zur Gaststätte auf und herein trat ein gutaussehender, geschmackvoll
gekleideter Herr in Begleitung von zwei grob aussehenden Gesellen. Jetzt
sang sie einsam auf der Bühne, denn alles hatte sich zu dem späten
Gast umgedreht. Der Besitzer der Bar war persönlich herbeigeeilt und
begleitete den Herrn zu dem freien Tisch in der Mitte. Der Gast setzte sich
in Richtung der Bühne, zu Bianca hingedreht, während seine Begleiter
hinten an der Theke warteten. Er saß allein am Tisch, doch sah es
einen Moment so aus, als säßen unsichtbare Gestalten neben ihm.
Die Hände hatte er in den Schoß gelegt und starrte geradeaus
auf Bica. Ihre Blicke trafen sich. Bica war der Mann unbekannt und ihre
Stimme bebte leicht, vor Thur hatte sie schon gesungen, vor diesem Mann
noch nie.
Im großen weiten Land der Städtebünde herrschte ein reger
Austausch von Meinungen. In Windeseile verbreiteten sich Nachrichten über
Notstandsgesetze in der Hauptstadt. Die jeweiligen Bürgermeister hatten
Absprachen gehalten, es in ihren Städte nicht so weit kommen zu lassen.
Draußen auf den Land war man noch vorsichtiger. Der Ausnahmezustand
dauerte jetzt schon eine Woche und wenn es irgendwie ging, versuchte man
die Kontrollen auf den Zufahrtsstraßen zu meiden. Auf den Handelsplätzen
und Märkten tat sich kaum etwas. Was blieb da anderes übrig, als
auf einen guten Sommer zu warten. Endlich am neunten Tag wurden die Zwangsmaßnahmen
gelockert und die Notstandsgesetze aufgehoben. Nicht nur Diebe und Tagelöhner
hofften auf bessere Zeiten. Thur, der zu Hause viel nachdachte, hatte keine
besorgniserregenden Informationen mehr erhalten und glaubte, sich im Recht.
Mehr als ein kurzes Augenzwinkern entlockte ihm die Nachricht über
das Verschwinden einer seiner Informanten aus einem abgelegenden Bergdorf
nicht. Der Mann galt als unzuverlässig, jährzornig und unbeherrscht
und so wurde die Suche nach ihm schon nach wenigen Tagen eingestellt und
man beschränkte sich auf Formalitäten. Die ersten Anzeichen dafür
gab es schon daß die feindliche Stimmung gegen ihn sich bald legen
würde.
.............................................................................
Tou hatte zweiäugig gelesen und war neugierig geworden. Kundschaft
kam nur spärlich heute. Tou fürchtete weniger zu verdienen. Über
eine Woche war vergangen und niemand hatte mehr nach dem Buch gefragt, was
Tou auch nicht erwartet hatte, denn der vermutliche Käufer war schon
dagewesen und hatte die wichtigste Seite aus dem Buch verschwinden lassen.
Tou hatte sich an das doppelte Lesen gewöhnt und wartete gespannt auf
die fehlende Seite. Verständlicherweise hatte er sich viel Zeit gelassen,
die ersten vier Tage die Bücher überhaupt nicht angerührt
und sich nur mit buchhalterischen Dingen beschäftigt. Heute hatte er
seinen Laden lang offen gelassen. Jetzt legte er die Bücher in eine
Schublade, nahm Hut und Mantel, drehte das Schild in seinem Schaufenster
auf "geschlossen" und sperrte die Ladentür ab. Die geringe
Tageskasse hatte er in seiner Geldbörse untergebracht. Nur ein paar
hundert Schritte waren es bis zu einer Gastwirtschaft, wo er sein Abendessen
einzunehmen pflegte. Hier war es abends ruhig und die Gäste kümmerten
sich nicht um einander. Tou aß fast jeden Abend das gleiche, etwas
Fleisch und Gemüse, Brot dazu, selten Bier oder Wein, denn er vertrug
nicht viel Alkohol. Der Wirt war nicht übermäßig freundlich
oder gesprächig, aber seine Frau kochte gut, das war bekannt. Sie war
eine gepflegte, kräftige Frau, die nicht böswillig, aber in barschem
Ton ihr Angestellten umherscheuchte:
"Macht dies, macht das!" Tou saß neben dem Kücheneingang
und bekam einiges mit. Der Wirt machte jedenfalls keine Anstalten auf seine
Frau Einfluß zu nehmen. Schließlich kochte sie gut und das Gezeter
schlug höchstens ihr selbst auf den Magen. Heute Abend war er später
dran als sonst und mußte notgedrungen länger auf sein Essen warten.
Tou aß, als wollte er stricken. Sein Magen war heute größer
als sonst und war schon halb gefüllt, als er über dem Rand seiner
Brille eine krumme, mit Knöpfen übersäte Latzlinie erspähte.
Diese gehörte zu einem dickbauchigen Herrn, der sich infolge Platzmangels
bis zu diesem Tisch vorgedrängt hatte. Er bot Platz nehmen zu dürfen,
was Tou selbstverständlich gestattete. Der Wirt in sauberer Schürze
kam herangeeilt und wischte so geistesabwesend über den Tisch, daß
Tou seinen Teller festhielt. "Was darf's denn sein?" "Was
zu essen." antwortete der Dicke, setzte sich in seinem Stuhl zurück
und drehte Däumchen. "Irgendetwas zu essen", wiederholte
er sich und schaute zu Tou hinüber, dabei zwinkerte er und sagte zu
dem Wirt:" So was, was der da ißt." Dabei leckte er sich
über die die Oberlippe. "Ach ja, und dazu ein kühles Bier!"
Der Wirt wischte immer noch und aus der Küche klang erneut irgendein
Gezeter. "Schon gut", sprach er dann schon fast durch die Mauer,
"sie werden sofort alles bekommen." Der Dicke rieb sich vergnügt
die Hände. Sein Bauch ließ ihm kaum eine Chance, näher an
den Tisch zu rücken. Er schien viel Geld zu haben und es nicht nur
für Essen auszugeben. Er trug einen teuren Anzug und allerlei Goldringe
an den schwammigen Fingern. Totu nippte an seinem Glas. "Trinken sie
immer nur Wasser?" fuhr ihn sein Gegenüber an. "Ja, ich trinke
immer Wasser." "Davon bekommt man ja noch mehr Durst", scherzte
der andere. "Wenn sie heute mal eine Ausnahme machen könnten,
so lade ich sie zu einem Glas Bier ein, ihr Wasser stört doch in dieser
Umgebung," und er zeigte auf einige angeheiterte Gäste in seiner
Nähe. "Meinetwegen", ergab sich Tou seinem Schicksal. "Herr
Wirt noch ein Glas Bier!" Der Wirt antwortete nicht, man ahnte aber,
daß er bei dieser Lautstärke alles verstanden haben mußte.
Schließlich beugte sich der dicke Gast über den Tisch, streckte
Tou eine teigige Pfote hin und rülpste:" Ich bin Gysztonbi und
komme von weit her, aus dem Süden. Behördliche Dinge haben mich
in die Hauptstadt geführt und ich muß sagen, es gefällt
mir gut hier bei euch." "Das freut mich," heuchelte Totu,
" das freut mich wirklich." Schon fiel im Gsyztonbi ins Wort:"
Ich bin Förster, ein anstrengender Beruf, wie sie sicherlich wissen.
In letzter Zeit sind viele Wilderer in mein Revier eingebrochen. Sie haben
sogar trächtige Tiere erlegt und stellen widerwärtige Fallen auf.
"Tou schluckte. "Ich bin hier um Verstärkung anzufordern,
denn so kann es nicht weitergehen. Was ist ihr wertgeschätzter Beruf?"
Tou mochte solche Fragen nicht und er antwortete schnell:" Buchhalter."
"Buchhalter? Wie langweilig" , stöhnte Gszyztonbi, "bei
welcher Behörde?" "Ach, ich habe heute keine Lust darüber
zu reden," antwortete Tou mißgelaunt, "schließlich
ist Feierabend und ich spreche nie über das Büro wenn ich Feierabend
mache." "Schon gut, schon gut, kann ich verstehen, wahrscheinlich
erginge es mir nicht anders, wäre ich an ihrer Stelle.
Ich weiß ja wie das ist in diesen schrecklichen Amststuben. Keine
frische Luft, nur trockene Brötchen, Ärmelschoner, alte geifernde
Jungfern und so weiter." Dabei hielt er sich an den Seiten seines Bauches
fest, als habe er einen Ball gefangen. Mein Cousin ist auch so ein Schreiberling,
später will ich ihn im Club treffen, wenn sie Lust haben, können
sie auch mitkommen, heute Abend soll dort richtig was los sein, Bica tritt
nämlich auf. " Der Mann hatte die letzten Worte so einladend ausgesprochen,
daß Tou am liebsten auf der Stelle losgezogen wäre, aber er traute
sich nicht richtig und sprach schüchtern: "Meinen sie, ich kann
so hingehen wie ich bin?" "Natürlich, sie brauche nur Geld,
vielleicht ein bißchen mehr als sonst," sagte der Dicke und wackelte
dabei genüßlich mit dem Kopf. " Ich habe immer genug dabei,"
prahlte Tou und griff nach seiner Geldbörse." Nicht doch, nicht
hier drin!", keuchte Gysztonbi und noch schulmeisterlicher sagte er:
So was macht man doch nicht" Tou war rot angelaufen. Zum Glück
kam der Wirt und stellte zwei Bier auf den Tisch. Der Dicke schnappte sich
ein Glas und trank es mit einem Zug fast völlig leer, wobei er den
Bauch einzog. Danach rülpse er laut und wischte sich mit fettigem Handrücken
über die Lippen. "Das war gut. Herr Wirt, gleich noch eine Runde!"
Tou mußte so tun, als sei er das Trinken gewöhnt. Trotzdem ermunterte
ihn Gysztonbi: Besser als Wasser, nicht wahr?" Tou nickte bewundernd.
Sein erstes Glas Bier seit ein paar Wochen und es stieg ihm sofort in den
Kopf, er ertappte sich sogar bei dem Gedanken, daß es ihm schmeckte.
Da knallte die Tür zur Küche auf. Die rundliche Frau des Wirtes
kam heraus, beide Hände voll beladen mit Tellern. Wer hat das Essen
hier bestellt?" Tou zeigte auf Gysztonbi. Die Wirtin stellte alles
auf den Tisch, musterte den Dicken spöttisch, murmelte etwas wie "Guten
Appetit " und war schon wieder verschwunden.
.............................................................................
Im Haus des Finsteren suchte die Polizei nach der Leiche von Ocht. Der Bergmann
hatte öfter Streit mit Ocht gehabt und jemand der davon wußte
hatten der Polizei den Tip gegeben. Seine Frau saß gerade vor der
Wiege und bettete einen Säugling als die Polizisten hereingestürmt
kamen. Kräftige Kerle, gut ausgebildet, aber Fragen stellten sie keine.
Gemächlich gingen sie ans Werk und gründlich. Der Protest der
Frau verhallte schnell. Sogar in der Wiege des Säuglings wühlten
sie. Der Mann war an diesem Morgen in den Wald gegangen. Natürlich
wurde er dabei beobachtet. Zwei Detektive folgten ihm. Die Männer im
Haus trugen weiße Handschuhe. Nach etwa einer Stunde Arbeit fragte
einer die Frau: "Hast du uns etwas mitzuteilen, das uns weiterhelfen
könnte? Wie du weißt ist seit ein paar Tagen ein gewisser Herr
Ocht verschwunden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Zuletzt hätte
er nach einem streunenden Hund gesucht. Hast du ihn gesehen?" Die Frau
schüttelte den Kopf. "Ihr seht doch, daß es hier nichts
gibt, was euch weiterhelfen könnte. Seitdem wir das Kind haben, haben
wir uns um Dorfangelegenheiten nicht weiter gekümmert. Mein Mann hatte
zwar öfter Streit mit Ocht, vor allem wegen der Hunde, aber ihr wißt
doch selbst, welch lasterhaftes Leben Ocht geführt hat, wie oft er
sinnlos betrunken war, andere schikaniert, ja sogar geschlagen hat, angeblich
auch seine Frau." Der Offizier seufzte und drehte seinen Hutrand. Schon
einige Jahre im Beruf hatte er doch nicht das Interesse an dieser Arbeit
verloren. Solche Fälle kann man nicht den örtlichen Behörden
überlassen, die legen zuviel Wert auf die öffentliche Meinung
und waren weniger gewissenhaft. Für ihn roch es hier stark nach Verschwörung
und der Bergmann war schon früher wegen illegaler Tätigkeit aufgefallen.
Hinweise deuteten auch daraufhin, daß Ocht einem Verbrechen zum Opfer
gefallen war. Ocht hatte am Vorabend seines Verschwindens seiner Frau erzählt,
daß er wichtige Dinge zu erledigen habe und für einige Zeit verreise,
war aber an der angegebenen Adresse nie angekommen. Ocht war zwar gerissen
und der Aufseher wußte, daß er Informationen zur BEHÖRDE
lieferte, doch was wirklich in ihm vorging blieb auch weiterhin ein Rätsel,
jetzt sowieso, wo er vermutlich tot war.
Die Stadt erhob sich aus ihrer Starre. Die ersten Sonnenstrahlen durchfluteten
das Grau der Vororte und in den Zimmern und Küchen bereiteten sich
die Frühaufsteher auf ihren Arbeitstag vor. Einige Fahrzeuge rollten
über die Straßen, angefüllt mit Waren aller Art und ihre
verschlafenen Fahrer freuten sich kaum über das Gedränge und die
Fragen ihrer Kundschaft. In den Markhallen reichte man Körbe und Kisten
weiter, tauschte Geld und Quittungen, beschränkte sich dabei auf die
üblichen Höflichkeiten. Anderer wiederum frönten schon dem
Alkohol. Die Verkaufstände waren kunstvoll mit Obst und Gemüse
belegt. Die Erde schien sich langsamer zu drehen für den einsamen Morgenspaziergänger,
der im schwarzen Mantel die Hauptstraße entlangschlenderte. Er hielt
sich dicht an die Schaufenster und schaute selten zur Seite. Ein kleiner
Bart war ihm seit Tagen gewachsen und er wirkte müde und ungepflegt.
Seine Tasche hing ihm schwer über die Schulter doch ohne sie hätte
er nichts besessen. Die Schaufenster waren bunt und voller Sachen, die ihm
förmlich ins Gesicht sprangen, doch dachte er sich nichts dabei. Schließlich
schlich er an einen kleinen Platz, wo die Straße sich um ein geschmackloses
Denkmal teilte, in ein enges Café, wo es knuspriges Gebäck und
frische Brötchen gab. Eine junge Frau und ihr stark behaarter Mann
standen hinter der Glasvitrine, in der sie ihr verlockenden Leckereien verstaut
hatte. Fünf Tische standen der Enge wegen hintereinander und waren
in der Wand befestigt. Drei waren schon besetzt. Er orderte ein Käsebrötchen
und Milchkaffee und griff in seine Manteltasche um ein paar Geldstücke
herauszunehmen. Blicke warfen sich von den Tischen herüber zu ihm.
Der Behaarte beobachtete verstohlen seine Frau, als sie den Kaffee aus der
Maschine laufen ließ. Restgeld hatte er schon herausgegeben, wobei
er vermied es dem Kunden in die Hand zu geben. Die Tür zu dem Café
stand weit offen und angewärmte Morgenluft strömte herein. Zwischen
Theke und Tür blieb ein kleiner Zwischenraum in den er sich einkeilte.
Er blickte nach draußen, während er frühstückte. Das
Licht war hart an diesem Morgen und ließ die Frauen noch schöner
aussehen.
---Es
gibt kein Ding, so schön es sein könnte, das damit vergleichbar
wäre. Keine Uhr, die die Zeit zählt, die keines anderen Zeit ist,
wenn die Sonne tanzt in ihrem Blau, so eitel, so nichtig auf des Morgens
Tau, während die Zeit sich dreht und mittendrin in der einsamsten und
gefährlichsten Stelle des Strudels die Musik geheimer Seelen, zarter
Schall, jauchzend auf dem Rücken des Stieres, der blutet unter seines
Schlächters Beil, ein Beil der Liebe das tötet, aber nicht trennt.
Von weither dringt der Schrei des stummen Kindes. Dunkle Augen voller Wagnis,
ein winziges Zugeständnis von Mutter Erde mit ihren Brüsten aus
Glück und Gewalt. Hinaufbefreit, frei von Langeweile. Wasser tröstet
tausendfaches Augenlicht und regnet in die Zukunft, dort wo jede Macht sich
verlor, zu aufgebläht, zu feist ihr Inhalt, zu dünn ihre Haut,
zu töricht ihr Herrscher.---
Ende Kapitel 3
Fortsetzung folgt.