..........
.................. .... ...

Zwei Kaninchen hüpften über das Feld hinter Thur's Landsitz. Der Herr stand, die Arme auf seine Beckenknochen gestützt, neben seinem Pferd und betrachtete die Landschaft. Die Felder waren gut bestellt und hier im fruchtbaren Seitental gedieh alles prächtig. Vor seiner Abreise aus der Stadt hatte er noch viel zu erledigen gehabt. Sarksa wollte er erst wieder unter die Augen treten, wenn er sich erholt hatte. Er war ein vorsichtiger Mann mit kleinen Augen, eher unterkühlt aber empfindlich gegen jede Kritik. Sarksa hatte ihn in den letzten Wochen scharf angegriffen. Einmal ließ er ihn früh morgens zu sich kommen. Sarksa lag sogar noch im Bett, neben ihm eine seiner Mätressen. Thur war völlig verlegen. Sarksa wollte alles genau wissen. Dieser verdammte Botschafter! Starb er eines natürlichen Todes, bekam er einen Herzinfarkt, erstickte er an einem Asthmaanfall? Was auch immer. Mit letzter Sicherheit war es nicht aufzuklären. Thur blieb verborgen, was Sarksa dabei so aufwühlte.

Zuerst war es eine gewöhnliche Rücknahme, dann verbreitete sie sich zu einer ungewöhnlichen Fülle. Die Gesetzmäßigkeit des Handelns war heruntergekommen, war schwach geworden, abgewetzt vom Reiben der rauhen Hände, voller Leblosigkeit und Ohnmacht. Zurück blieb ein lächerlicher Rest Menschlichkeit, entfremdete, samtweiche Humanität aus den Eierkästen der Dummheit. Gelegentlich gab es noch ein Aufbäumen, ein Sprung aus dem Fell der Gleichgültigkeit. Die Dämmerung rückte näher. Um die Arme schloß sich die Fessel, die Zungenspitzen waren wundgerissen von der Sichel der Frucht. Jeden Morgen diese liederliche Melodie des Grauens, komponiert aus Gallensaft und Zerstörung, geflüstert in ein Ohr, ein wirkliches Ohr: posaunender höhnischer Triumph über unaussprechliche Belanglosigkeit. So kam die Dämmerung näher und mit ihr die Kälte, aber auch die Freundschaft, dort im engen Kilt der Wegkreuzung, im nässenden Gras der Abendröte. Dieses ewige Verbellen der Zeit!

Als Aidoca frühmorgens aufgestanden war, sich schnell angezogen hatte und einen flüchtigen Blick in die Küche warf und sie leer fand, aber Geschirr auf dem Abwasch bemerkte, stürzte sie in die Kammer und fand das Bett verlassen. Sie eilte zurück in die Küche und fand den Abschiedsbrief, las ihn aber nicht, sondern öffnete die Tür nach draußen. Das Kind fütterte die Katzen im Hof. Sie war erleichter, hob es hoch und trug es zurück ins Haus. Danach las sie den Brief. Aufgeregt rannte sie in die Stube wo die Eltern Rücken an Rücken schliefen. "Er ist weg!" rüttelte sie ihren Vater wach. Der alte brummte mißgelaunt: "Wo ist das Kind?" "In der Küche". Die Mutter drehte sich herum, erhob sich mit einiger Anstrengung wobei sie die Ellbogen auf das Kissen stützte und indem sie ihre Müdigkeit hinwegatmete sagte sie: "Wo ist er hin?". Dann warf sie sich in das Kissen zurück, wobei ihre Hände wie die eines Bettlers wippten. "Er hat mir diesen Brief geschrieben", sagte Aidoca bestimmt. Sie hielt ihn hoch. Dann ging sie wortlos aus dem Zimmer, während der Alte ihr nachrief: "Warum hat er das getan?" Draußen las Aidoca den Brief noch eimmal und vergaß zu antworten. Dann steckte sie den Brief in ihre Hose, ging in Strümpfen zum Herd und goß Kaffee aus der Kanne. Sie trank nachdenklich, die Nasenwurzel in die Tasse gepreßt. Alles schmeckte bitter an diesem Morgen. Als sie die Tasse geleert hatte, ging sie zurück in das Gästezimmer, zog ihre Schuhe an und trottete zum Waschraum. Sie nahm die säuberlich aufgehängten Kleider mit in die Küche, hieß das Kind, sich anzuziehen, was dieses auch tat. Aidoca ging nach draußen, nahm den Brief aus ihrer Hose und setzte sich auf die Stufen vor ihrem Haus in die Sonne. Sie las den Brief erneut Wort für Wort. Als ein einsamer Hund die Gasse entlangschlenderte, kraulte sie ihn hinter den Ohren. "Weißt du, warum er gegangen ist?", fragte sie das Kind. Dieses schüttelte den Kopf. Während sie immer eindringlicher den Hund kraulte verschwand das Kind im Haus. Laut und hämmernd klangen monotone Schritte durch die Gasse. Ein schriller Pfiff ertönte. Der Hund schrak zusammen. Gehorsam trollte er sich zur Straßenmitte hin. Aus der schwarzen Begrenzung des Nachbarhausschattens tauchte Ocht auf, wickelte eine Hundleine um den rechten Zeigefinger, ließ sie durch die Luft zirpen und schrie den Hund an, wobei der mit der linken Hand auf den Boden zeigte: "Komm her!" Der Hund winselte und kroch demütig zu seinem Herrn. Dieser betätschelte ihn am Nacken, befestigte die Leine an der Halskette, murmelte ein paar Worte und indem er sich die Hosen mit beiden Händen hochzog, schritt er auf Aidoca zu. Diese wollte schnell im Haus verschwinden, doch der Ocht sprach vorsichtig:" Halt, nicht so schnell, vielleicht kann ich dir helfen." "Ich wüßte nicht, daß du dazu fähig bist, du bist faul und deine Hunde ungepflegt." Er ließ sich aber nicht beirren und wischte sich über das Hosenbein, sein Blick dabei wie süßes Eis. Aidoca lehnte sich an den Türbalken und ließ die Haar seitwärts fallen. "Was willst du?" "Ich", hauchte er ahnungslos, "ich will nichts wissen, was ich nicht schon weiß."

.............................................................................


Den Sternen lag Cait zu Füßen und neben ihm Cowboy, der besoffene Handwerker, notdürftig zugedeckt mit einem alten Mantel und schnachte laut. Cait hatte seinen Kopf auf das Bündel gelegt und schaute nach oben. Schon wieder ein verlorener Tag, dachte er bei sich. Er fror auf seinem feuchten Nachtlager und rückte näher an Cowboy, der davon allerdings nichts merkte. Der Mond stand noch nicht am Himmel. Die Bäume waren nur zu ahnen, wenn die Äste mit denen der Wind spielte, die Sterne verdunkelten. Die Nacht hatte alles eingehüllt, diese schwarze, bucklige Kreatur mit ihren langsamen Augen und ihrem glitzernden Fell. Die Freundschaft schlug ruhig im weichen Herz. Es gab keinen Anlaß zur Klage, und der Traum kam, in einen Nebel gehüllt, der alles Licht in seinem Ursprung bricht. Nein, einen Lohn für langes Warten gibt es nicht. Es begann damit, daß sie von einem Holzfäller in einem weiten Marsch zu einem See geführt wurden, der sich in einem Krater auf einem Berg gesammelt hatte. Kein besonderer See, ohne Fische und mit steinigem Ufer. Der See brach nach Süden hin in einen kleinen Bach, der spritzend und kalt den Berg hinuntereierte. Der See war spiegelglatt und sie saßen eine Weile keuchend am Ufer. Schranken gab es nur in der Erinnerung während in dem Haufen Schutt zu Füßen ein wäßriger Kristall in seinem schönsten Glanz erstrahlte
.
Viel Bier wurde an diesem Abend in der feinen Bar gereicht, die sich in einem der besseren Unterhaltungsviertel der Stadt befand. Während die Getränke langsam in die Därme platzten, wartete alles gespannt auf Bica, die Sängerin. Die Bühne war für den Abend besonders hergerichtet, mit einer Blumenvielfalt, die ihresgleichen suchte. Das Gemurmel im Saal vermischte sich mit dem Rauch zu einem schweren Tuch, doch den Gästen war keine Müdigkeit anzumerken. Ein einziger Tisch in der vordersten Reihe war noch unbesetzt. Er war zum Zorn anderer Gäste freigehalten worden und dem Service fielen tröstende Worte immer schwerer. Unvermittelt trat ein spärlich bekleideter Mann auf die Bühne und sagte in das Mikrophon: "Liebe Freunde! Heute ist ein besonderer Glückstag. Wir alle fühlen uns geehrt, daß der Oberste Bedienstete seinen Besuch angekündigt hat. Es kann nur noch kurze Zeit dauern, bis er hier ankommt. Laßt uns den Tisch freihalten für Thur den Obersten Bediensteten unserer Stadt und unseres Landes!" Ein anerkennendes Klatschen beendete seinen Redefluß. Er verbeugte sich artig und wies mit beiden Händen zum Spalt in der Mitte des Vorhangs. Dieser bewegte sich flügelartig auseinander und heraus trat ein vornehm gekleideter Herr in schwarzer Seide und mit einem Strohhut auf dem Kopf. Er hatte einen krummen Stock in der rechten Hand mit dem er salbungsvoll den Boden berührte. Alles verstummte. "Bühne frei für Bica, die schönste und beste Sängerin der Welt!"

Aidoca war neugierig geworden und lud Ocht in die Küche ein. Sie goß frisches Wasser in einen Topf um neuen Kaffee zu kochen. Ocht hatte sich quer auf einen Stuhl gesetzt und wartete auf das Getränk. Aidoca bemerkte aus den Augenwinkeln, daß er jeden Schritt von ihr beobachtete. Als sie zwei Tassen gefüllt hatte, sagte sie: "Ich weiß, daß deine Freunde und du nicht ganz richtig im Kopf sind, doch hoffentlich ist euch ein Fünkchen Verstand geblieben." Ocht war inzwischen aufgestanden und ging auf Aidoca zu. "Was weißt du schon von mir?" bellte er. Das Leben das du führst ist doch voller Ignoranz, du hast keine Ahnung was da draußen vor sich geht." Dann goß er Aidoca den heißen Kaffee ins Gesicht. "Ich gehe lieber, als daß ich hier zum Krüppel werde, die Hunde sind mir lieber als eure verruchte Gesellschaft!" Aidoca brannte das Gesicht wie Feuer. Sie griff, ohne zu überlegen, ein langes Messer, das auf dem Tisch lag und während Ocht sich selbstsicher wegdrehte, stieß sie das Messer fast zufällig genau in sein Herz und zog es wieder heraus, als sei es ein Würfelspiel. Ocht fiel schreiend auf den Boden und wälzte sich im Staub. Während das Blut am Messer funkelte, schrie Aidoca:" Du hast es verdient! Du hast es verdient!" Die Eltern kamen, durch den Krach aufgeschreckt, in die Küche gelaufen. Der Vater stand bis zu den Knöcheln im Blut von Ocht. "Aidoca!" schrie der Vater,"was hast du getan?" Die Mutter, mit zerzausten Haaren, schlug die Hände vor's Gesicht und setzte sich weinend auf einen Stuhl, den anderen den Rücken zukehrend. Dann stand sie auf, ging zur Haustür und verschloß sie. In Ocht's Körper kroch schon die Kälte. Aidoca hatte das Messer auf den Tisch gelegt, dort funkelte es, als sei es für weitere Taten bestimmt. Aidoca fühlte keine Reue. Nach kurzer Zeit sagte der Vater: "Wir müssen ihn wegschaffen. Wie können wir jetzt noch ruhig schlafen in nächster Zeit, wer kann uns noch Frieden bringen? Aidoca, fliehe aus dem Dorf, nimm das Kind mit, beeile dich! Das hier bringen wir schon in Ordnung." "Vater verzeih' mir", sagte sie während sie sich über den Toten beugte. "Ich weiß, was er dir angetan hat und wenn du auch das Recht dazu zu haben glaubtest, niemand wird dir jetzt noch Recht geben." "Vater, ich kann euch nicht verlassen, ich war plötzlich hineingerissen in diesen Abgrund." "Vielleicht hat niemand etwas bemerkt und wenn du und Ocht verschwinden ist es besser, als du allein. In den Bergen wirst du Frieden finden vor allen Nachstellungen. Bedenke Aidoca, sie haben alle Brücken abgebrochen und nur wenige können gegen sie Widerstand leisten. Hier würdest du nur Höllen wiederfinden." Der Vater zog den Leichnam den Füßen herüber zur Falltür, die in den Keller führte. Ocht lag mit mächtig gestautem Hals und nach oben geschlagenen Händen in dem Aufwasch seines Blutes. Der Mutter versagten die Tränen. Die Sonne hatte sich über den Fensterrahmen gezogen und die Schatten wanderten über das totrote Blut. "Hilf' mir", sagte der Brückenbauer zu seiner Frau. Sie schaute angewidert weg. Mit dem Ausdruck von Ekel im Gesicht ergriff Aidoca die Füße von Ocht und zog sie den Keller hinunter. Aidoca stieg die steilen Stufen hinab, während Ocht ihrem Vater aus den Fingern glitt. Er blieb auf dem Boden stehen und sein Gesicht berührte kurz das ihrige. Sie fiel vor Schreck auf den Boden. Der Vater leuchtete mit einer Kerze. Hinter einem abgegrenzten Bezirk im äußersten Winkel des Kellers verstaute er die Leiche, bedeckte sie mit Säcken aus Stroh und sagte: "Heute Nacht vergrabe ich ihn." Dann beseitigte er sorgfältig alle Spuren und zog Aidoca die Treppe hinauf. Oben verschloß er die Falltür und rückte den Teppich darauf. Die Mutter hatte inzwischen alles Blut weggewischt. Aidoca ging ins Bad und entkleidete sich. Die Beseitigung aller Spuren hatte große Mühe bereitet. Suchen, dachte Aidoca noch bei sich, wird Ocht hier keiner, wahrscheinlich wird noch nicht einmal seine Frau seinen Verlust bemerken. Das Kind kehrte gerade von seinem Morgenspaziergang heim. Die Mutter drückte es herzlich. "Wo hast du dich herumgetrieben?", fragte sie. "Laß' doch," ging Aidoca dazwischen, mit einem langen Hemd bekleidet. "Der Fremde ist weggegangen und nun wirst du bei uns bleiben müssen. Hast du etwas dagegen?" Das Kind schüttelte den Kopf. Der Vater sah Aidoca mit großen Augen an. "Wäre es nicht besser ihr würdet dem Fremden folgen, ich glaube, er ist einsam ohne euch." Aidoca antwortete: "Es ist besser, hier zu warten, bis er zurückkommt. Der Sommer ist schön in den Bergen," und sie legte ihren Kopf auf seine Schultern," und wir werden viel Zeit haben zum spazierengehen."

.............................................................................

Bica trat auf die Bühne. Der Vorhang war aufgezogen und das Orchester stimmte die Instrumente. Sie warf den Oberkörper mit den spitzen Brüsten ein paar Mal nach vorn und ließ ihre langen schwarzen Haar fallen. Die Orchesterleute schielten verstohlen auf ihre Beine. Aus ihrem Mund erklang eine Stimme wie aus feuchtem Fels. Sie trug keine Schuhe. Zwischen den Tischen der Gäste bewegte sie sich wie heißes Glas. Verzehrende Blicke mahlte sie in die triebhaften Gehirne mit Seufzern ob ihrer Stimmhaftigkeit. Dieses Jahr war sie schon viel gereist und hatte schöne Städte gesehen. Hier in ihrer Heimatstadt war sie anfangs nicht besonders beachtet worden und die Berühmtheit kehrte erst jetzt zurück, im Tausch. Der Mann mit Strohhut war ihr ständiger Begleiter und obwohl sie ihm fiel zu verdanken hatte liebte sie ihn nicht wirklich. Obwohl sie jung war, sah man sie nur selten mit Altersgleichen. Die fetten Zuhörer draußen steckten ihr das Geld zu und sie hatte Mühe sie sich vom Leibe zu halten. Ihr Stimme klang rauh heute Abend und verließ den Mund durch zwei makellose Zahnreihen und zwei weiche Lippen. Als der Vorhang sich langsam öffnete, atmete sie tief ein. Sofort begann das Orchester unter dem Beifall der Menge zu spielen. Bica sang ihr Lied "ABER WANN?"

Dies ist die Geschichte
Die mit der Wahrheit sich nicht verträgt,
Dies ist die Geschichte
Die in eure Gesichter schlägt.

(Und der Chor sang: "Dafür wirst du belohnt werden!")

Man sorgte sich um mich
Man lehrte mich zu lieben
Ich sage die Wahrheit, weil man mich schlug
wenn ich log.

(Und der Chor sang:" Dafür wirst du belohnt werden!")

Es ist wahr, daß ich nie log
Es ist wahr, daß ich nicht zu hassen weiß.
Es ist wahr, daß ich nie eine Antwort bekam.
Nie Liebe erntete.

(Und der Chor sang:" Dafür wirst du belohnt werden!")

Stille... Nur ein tiefer Basston kroch über den Boden. Bica setzte einen Fuß vor den anderen, holte tief Luft und beugte sich nach vorn, dann schrie sie aus voller Kehle: "ABER WANN?" Die Fetten in der ersten Reihe schraken zurück. Als Bica sich enstspannte und das Orchester verstummte, klatschte die ganze Gesellschaft wie wild, Männer pfiffen zum Leidwesen ihrer mitgebrachten Gattinnen. Bica winkte ab. Gerade als sie ihr nächstes Lied singen wollte, ein Liebeslied, ging die Tür zur Gaststätte auf und herein trat ein gutaussehender, geschmackvoll gekleideter Herr in Begleitung von zwei grob aussehenden Gesellen. Jetzt sang sie einsam auf der Bühne, denn alles hatte sich zu dem späten Gast umgedreht. Der Besitzer der Bar war persönlich herbeigeeilt und begleitete den Herrn zu dem freien Tisch in der Mitte. Der Gast setzte sich in Richtung der Bühne, zu Bianca hingedreht, während seine Begleiter hinten an der Theke warteten. Er saß allein am Tisch, doch sah es einen Moment so aus, als säßen unsichtbare Gestalten neben ihm. Die Hände hatte er in den Schoß gelegt und starrte geradeaus auf Bica. Ihre Blicke trafen sich. Bica war der Mann unbekannt und ihre Stimme bebte leicht, vor Thur hatte sie schon gesungen, vor diesem Mann noch nie.
Im großen weiten Land der Städtebünde herrschte ein reger Austausch von Meinungen. In Windeseile verbreiteten sich Nachrichten über Notstandsgesetze in der Hauptstadt. Die jeweiligen Bürgermeister hatten Absprachen gehalten, es in ihren Städte nicht so weit kommen zu lassen. Draußen auf den Land war man noch vorsichtiger. Der Ausnahmezustand dauerte jetzt schon eine Woche und wenn es irgendwie ging, versuchte man die Kontrollen auf den Zufahrtsstraßen zu meiden. Auf den Handelsplätzen und Märkten tat sich kaum etwas. Was blieb da anderes übrig, als auf einen guten Sommer zu warten. Endlich am neunten Tag wurden die Zwangsmaßnahmen gelockert und die Notstandsgesetze aufgehoben. Nicht nur Diebe und Tagelöhner hofften auf bessere Zeiten. Thur, der zu Hause viel nachdachte, hatte keine besorgniserregenden Informationen mehr erhalten und glaubte, sich im Recht. Mehr als ein kurzes Augenzwinkern entlockte ihm die Nachricht über das Verschwinden einer seiner Informanten aus einem abgelegenden Bergdorf nicht. Der Mann galt als unzuverlässig, jährzornig und unbeherrscht und so wurde die Suche nach ihm schon nach wenigen Tagen eingestellt und man beschränkte sich auf Formalitäten. Die ersten Anzeichen dafür gab es schon daß die feindliche Stimmung gegen ihn sich bald legen würde.

.............................................................................


Tou hatte zweiäugig gelesen und war neugierig geworden. Kundschaft kam nur spärlich heute. Tou fürchtete weniger zu verdienen. Über eine Woche war vergangen und niemand hatte mehr nach dem Buch gefragt, was Tou auch nicht erwartet hatte, denn der vermutliche Käufer war schon dagewesen und hatte die wichtigste Seite aus dem Buch verschwinden lassen. Tou hatte sich an das doppelte Lesen gewöhnt und wartete gespannt auf die fehlende Seite. Verständlicherweise hatte er sich viel Zeit gelassen, die ersten vier Tage die Bücher überhaupt nicht angerührt und sich nur mit buchhalterischen Dingen beschäftigt. Heute hatte er seinen Laden lang offen gelassen. Jetzt legte er die Bücher in eine Schublade, nahm Hut und Mantel, drehte das Schild in seinem Schaufenster auf "geschlossen" und sperrte die Ladentür ab. Die geringe Tageskasse hatte er in seiner Geldbörse untergebracht. Nur ein paar hundert Schritte waren es bis zu einer Gastwirtschaft, wo er sein Abendessen einzunehmen pflegte. Hier war es abends ruhig und die Gäste kümmerten sich nicht um einander. Tou aß fast jeden Abend das gleiche, etwas Fleisch und Gemüse, Brot dazu, selten Bier oder Wein, denn er vertrug nicht viel Alkohol. Der Wirt war nicht übermäßig freundlich oder gesprächig, aber seine Frau kochte gut, das war bekannt. Sie war eine gepflegte, kräftige Frau, die nicht böswillig, aber in barschem Ton ihr Angestellten umherscheuchte:
"Macht dies, macht das!" Tou saß neben dem Kücheneingang und bekam einiges mit. Der Wirt machte jedenfalls keine Anstalten auf seine Frau Einfluß zu nehmen. Schließlich kochte sie gut und das Gezeter schlug höchstens ihr selbst auf den Magen. Heute Abend war er später dran als sonst und mußte notgedrungen länger auf sein Essen warten. Tou aß, als wollte er stricken. Sein Magen war heute größer als sonst und war schon halb gefüllt, als er über dem Rand seiner Brille eine krumme, mit Knöpfen übersäte Latzlinie erspähte. Diese gehörte zu einem dickbauchigen Herrn, der sich infolge Platzmangels bis zu diesem Tisch vorgedrängt hatte. Er bot Platz nehmen zu dürfen, was Tou selbstverständlich gestattete. Der Wirt in sauberer Schürze kam herangeeilt und wischte so geistesabwesend über den Tisch, daß Tou seinen Teller festhielt. "Was darf's denn sein?" "Was zu essen." antwortete der Dicke, setzte sich in seinem Stuhl zurück und drehte Däumchen. "Irgendetwas zu essen", wiederholte er sich und schaute zu Tou hinüber, dabei zwinkerte er und sagte zu dem Wirt:" So was, was der da ißt." Dabei leckte er sich über die die Oberlippe. "Ach ja, und dazu ein kühles Bier!" Der Wirt wischte immer noch und aus der Küche klang erneut irgendein
Gezeter. "Schon gut", sprach er dann schon fast durch die Mauer, "sie werden sofort alles bekommen." Der Dicke rieb sich vergnügt die Hände. Sein Bauch ließ ihm kaum eine Chance, näher an den Tisch zu rücken. Er schien viel Geld zu haben und es nicht nur für Essen auszugeben. Er trug einen teuren Anzug und allerlei Goldringe an den schwammigen Fingern. Totu nippte an seinem Glas. "Trinken sie immer nur Wasser?" fuhr ihn sein Gegenüber an. "Ja, ich trinke immer Wasser." "Davon bekommt man ja noch mehr Durst", scherzte der andere. "Wenn sie heute mal eine Ausnahme machen könnten, so lade ich sie zu einem Glas Bier ein, ihr Wasser stört doch in dieser Umgebung," und er zeigte auf einige angeheiterte Gäste in seiner Nähe. "Meinetwegen", ergab sich Tou seinem Schicksal. "Herr Wirt noch ein Glas Bier!" Der Wirt antwortete nicht, man ahnte aber, daß er bei dieser Lautstärke alles verstanden haben mußte. Schließlich beugte sich der dicke Gast über den Tisch, streckte Tou eine teigige Pfote hin und rülpste:" Ich bin Gysztonbi und komme von weit her, aus dem Süden. Behördliche Dinge haben mich in die Hauptstadt geführt und ich muß sagen, es gefällt mir gut hier bei euch." "Das freut mich," heuchelte Totu, " das freut mich wirklich." Schon fiel im Gsyztonbi ins Wort:" Ich bin Förster, ein anstrengender Beruf, wie sie sicherlich wissen. In letzter Zeit sind viele Wilderer in mein Revier eingebrochen. Sie haben sogar trächtige Tiere erlegt und stellen widerwärtige Fallen auf. "Tou schluckte. "Ich bin hier um Verstärkung anzufordern, denn so kann es nicht weitergehen. Was ist ihr wertgeschätzter Beruf?" Tou mochte solche Fragen nicht und er antwortete schnell:" Buchhalter." "Buchhalter? Wie langweilig" , stöhnte Gszyztonbi, "bei welcher Behörde?" "Ach, ich habe heute keine Lust darüber zu reden," antwortete Tou mißgelaunt, "schließlich ist Feierabend und ich spreche nie über das Büro wenn ich Feierabend mache." "Schon gut, schon gut, kann ich verstehen, wahrscheinlich erginge es mir nicht anders, wäre ich an ihrer Stelle.
Ich weiß ja wie das ist in diesen schrecklichen Amststuben. Keine frische Luft, nur trockene Brötchen, Ärmelschoner, alte geifernde Jungfern und so weiter." Dabei hielt er sich an den Seiten seines Bauches fest, als habe er einen Ball gefangen. Mein Cousin ist auch so ein Schreiberling, später will ich ihn im Club treffen, wenn sie Lust haben, können sie auch mitkommen, heute Abend soll dort richtig was los sein, Bica tritt nämlich auf. " Der Mann hatte die letzten Worte so einladend ausgesprochen, daß Tou am liebsten auf der Stelle losgezogen wäre, aber er traute sich nicht richtig und sprach schüchtern: "Meinen sie, ich kann so hingehen wie ich bin?" "Natürlich, sie brauche nur Geld, vielleicht ein bißchen mehr als sonst," sagte der Dicke und wackelte dabei genüßlich mit dem Kopf. " Ich habe immer genug dabei," prahlte Tou und griff nach seiner Geldbörse." Nicht doch, nicht hier drin!", keuchte Gysztonbi und noch schulmeisterlicher sagte er: So was macht man doch nicht" Tou war rot angelaufen. Zum Glück kam der Wirt und stellte zwei Bier auf den Tisch. Der Dicke schnappte sich ein Glas und trank es mit einem Zug fast völlig leer, wobei er den Bauch einzog. Danach rülpse er laut und wischte sich mit fettigem Handrücken über die Lippen. "Das war gut. Herr Wirt, gleich noch eine Runde!" Tou mußte so tun, als sei er das Trinken gewöhnt. Trotzdem ermunterte ihn Gysztonbi: Besser als Wasser, nicht wahr?" Tou nickte bewundernd. Sein erstes Glas Bier seit ein paar Wochen und es stieg ihm sofort in den Kopf, er ertappte sich sogar bei dem Gedanken, daß es ihm schmeckte. Da knallte die Tür zur Küche auf. Die rundliche Frau des Wirtes kam heraus, beide Hände voll beladen mit Tellern. Wer hat das Essen hier bestellt?" Tou zeigte auf Gysztonbi. Die Wirtin stellte alles auf den Tisch, musterte den Dicken spöttisch, murmelte etwas wie "Guten Appetit " und war schon wieder verschwunden.

.............................................................................

Im Haus des Finsteren suchte die Polizei nach der Leiche von Ocht. Der Bergmann hatte öfter Streit mit Ocht gehabt und jemand der davon wußte hatten der Polizei den Tip gegeben. Seine Frau saß gerade vor der Wiege und bettete einen Säugling als die Polizisten hereingestürmt kamen. Kräftige Kerle, gut ausgebildet, aber Fragen stellten sie keine. Gemächlich gingen sie ans Werk und gründlich. Der Protest der Frau verhallte schnell. Sogar in der Wiege des Säuglings wühlten sie. Der Mann war an diesem Morgen in den Wald gegangen. Natürlich wurde er dabei beobachtet. Zwei Detektive folgten ihm. Die Männer im Haus trugen weiße Handschuhe. Nach etwa einer Stunde Arbeit fragte einer die Frau: "Hast du uns etwas mitzuteilen, das uns weiterhelfen könnte? Wie du weißt ist seit ein paar Tagen ein gewisser Herr Ocht verschwunden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Zuletzt hätte er nach einem streunenden Hund gesucht. Hast du ihn gesehen?" Die Frau schüttelte den Kopf. "Ihr seht doch, daß es hier nichts gibt, was euch weiterhelfen könnte. Seitdem wir das Kind haben, haben wir uns um Dorfangelegenheiten nicht weiter gekümmert. Mein Mann hatte zwar öfter Streit mit Ocht, vor allem wegen der Hunde, aber ihr wißt doch selbst, welch lasterhaftes Leben Ocht geführt hat, wie oft er sinnlos betrunken war, andere schikaniert, ja sogar geschlagen hat, angeblich auch seine Frau." Der Offizier seufzte und drehte seinen Hutrand. Schon einige Jahre im Beruf hatte er doch nicht das Interesse an dieser Arbeit verloren. Solche Fälle kann man nicht den örtlichen Behörden überlassen, die legen zuviel Wert auf die öffentliche Meinung und waren weniger gewissenhaft. Für ihn roch es hier stark nach Verschwörung und der Bergmann war schon früher wegen illegaler Tätigkeit aufgefallen. Hinweise deuteten auch daraufhin, daß Ocht einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Ocht hatte am Vorabend seines Verschwindens seiner Frau erzählt, daß er wichtige Dinge zu erledigen habe und für einige Zeit verreise, war aber an der angegebenen Adresse nie angekommen. Ocht war zwar gerissen und der Aufseher wußte, daß er Informationen zur BEHÖRDE lieferte, doch was wirklich in ihm vorging blieb auch weiterhin ein Rätsel, jetzt sowieso, wo er vermutlich tot war.
Die Stadt erhob sich aus ihrer Starre. Die ersten Sonnenstrahlen durchfluteten das Grau der Vororte und in den Zimmern und Küchen bereiteten sich die Frühaufsteher auf ihren Arbeitstag vor. Einige Fahrzeuge rollten über die Straßen, angefüllt mit Waren aller Art und ihre verschlafenen Fahrer freuten sich kaum über das Gedränge und die Fragen ihrer Kundschaft. In den Markhallen reichte man Körbe und Kisten weiter, tauschte Geld und Quittungen, beschränkte sich dabei auf die üblichen Höflichkeiten. Anderer wiederum frönten schon dem Alkohol. Die Verkaufstände waren kunstvoll mit Obst und Gemüse belegt. Die Erde schien sich langsamer zu drehen für den einsamen Morgenspaziergänger, der im schwarzen Mantel die Hauptstraße entlangschlenderte. Er hielt sich dicht an die Schaufenster und schaute selten zur Seite. Ein kleiner Bart war ihm seit Tagen gewachsen und er wirkte müde und ungepflegt. Seine Tasche hing ihm schwer über die Schulter doch ohne sie hätte er nichts besessen. Die Schaufenster waren bunt und voller Sachen, die ihm förmlich ins Gesicht sprangen, doch dachte er sich nichts dabei. Schließlich schlich er an einen kleinen Platz, wo die Straße sich um ein geschmackloses Denkmal teilte, in ein enges Café, wo es knuspriges Gebäck und frische Brötchen gab. Eine junge Frau und ihr stark behaarter Mann standen hinter der Glasvitrine, in der sie ihr verlockenden Leckereien verstaut hatte. Fünf Tische standen der Enge wegen hintereinander und waren in der Wand befestigt. Drei waren schon besetzt. Er orderte ein Käsebrötchen und Milchkaffee und griff in seine Manteltasche um ein paar Geldstücke herauszunehmen. Blicke warfen sich von den Tischen herüber zu ihm. Der Behaarte beobachtete verstohlen seine Frau, als sie den Kaffee aus der Maschine laufen ließ. Restgeld hatte er schon herausgegeben, wobei er vermied es dem Kunden in die Hand zu geben. Die Tür zu dem Café stand weit offen und angewärmte Morgenluft strömte herein. Zwischen Theke und Tür blieb ein kleiner Zwischenraum in den er sich einkeilte. Er blickte nach draußen, während er frühstückte. Das Licht war hart an diesem Morgen und ließ die Frauen noch schöner aussehen.

---Es gibt kein Ding, so schön es sein könnte, das damit vergleichbar wäre. Keine Uhr, die die Zeit zählt, die keines anderen Zeit ist, wenn die Sonne tanzt in ihrem Blau, so eitel, so nichtig auf des Morgens Tau, während die Zeit sich dreht und mittendrin in der einsamsten und gefährlichsten Stelle des Strudels die Musik geheimer Seelen, zarter Schall, jauchzend auf dem Rücken des Stieres, der blutet unter seines Schlächters Beil, ein Beil der Liebe das tötet, aber nicht trennt. Von weither dringt der Schrei des stummen Kindes. Dunkle Augen voller Wagnis, ein winziges Zugeständnis von Mutter Erde mit ihren Brüsten aus Glück und Gewalt. Hinaufbefreit, frei von Langeweile. Wasser tröstet tausendfaches Augenlicht und regnet in die Zukunft, dort wo jede Macht sich verlor, zu aufgebläht, zu feist ihr Inhalt, zu dünn ihre Haut, zu töricht ihr Herrscher.---


Ende Kapitel 3

Fortsetzung folgt.


SUPERPOSITION
Das Magazin für
Leute, die ihre
eigene Meinung
haben.


Mit Beiträgen aus
Kultur, Kunst, Musik
u.v.a.
Mit Gesundheitstips,
Denkanstössen und
Unterhaltung

INHALT:
<Die Tür>
ein Fortsetzungs-
roman
Fotogallery
Plato&Platine
Satire
Videos von
Laboratoires lofi

Schach
CD-Empfehlung
1.Kapitel
2.Kapitel