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Die große Ebene lag brach. Ein paar Sträucher räkelten die
schwächlichen Arme in die Luft. Es herrschte Dunkelheit. Die Luft schien
mehr seitlich auf dem Land zu liegen. Kein Ton war zu hören. Kein Fuß
teilt das Land wo die Stille herrscht nur zwischen den Ginstersträuchern
waren Pfade gelaufen, Gras immer wieder an den selben Stellen zertreten. Menschen
und Tiere verirrten sich in dieser trostlosen Landschaft und sie wurde sogar
von Goldsuchern gemieden.
Langsam geriet die Ebene in Vergessenheit. Steinsammlungen zeugten aber von
grosser Dichtkunst. In dieser Nacht war der Himmel frei von tief und schnellziehenden
Wolken und die Sterne knisterten wie Watte.
Die Ebene lag fern jeden Menschengedenkens, friedlich und brav. Ein paar Grashalme
bogen sich im Wind. Trockenheit und Kälte trieb alles Leben fort, jenseits
aller Ereignisse, weit fort ins Land des immerwährenden Regens. Hier
gingen die Menschen ihrem leidvollen Dasein nach. Viele von ihnen sahen geschwächt
aus und manch einer saß mit versteinertem Gesicht und eingefallenen
Wangen rastlos am Fenster seiner Stube. Es fehlte jedoch nicht an Geselligkeit
und kaum ein Abend verging, ohne daß irgendwo ein Fest gefeiert wurde.
An Tagen an denen kein Regen fiel und der Nebel aufstieg, kroch die Sonne
lustlos durch ihr fauliges Aquarium.
Nicht wenige haben immer wieder versucht diesem Zustand zu entkommen, doch
der Weg nach draußen ist kaum zu schaffen. Die Wege sind steinig, die
Nächte unheimlich und lang, reissende Flüsse spritzen ihre Gischt
über Grenzsteine und verschlangen die Flüchtlinge.
Früher soll es eine Brücke gegeben haben und viel früher hätte
reger Verkehr geherrscht, denn die Tiefebene war fruchtbar und mancherlei
Vergnügen wuchs in solchem Klima. Als das Land noch weit und ruhig war
und die Städte sich entwickelten begab sich ein ruheloser Geist auf seine
treulose Wanderschaft. Immer mehr Wunden wurden der Erde zugefügt und
die Zahl der Neugierigen liess sich nicht mehr im Zaume halten. Immer wieder
verlor einer sein Leben an der Grenze dieses Spottes. Zu jener Zeit lebte
Skosk, der Weise und lehrte seine Gesetze in den großen Hallen der Vernunft.
Sein Menschenbild war das Mosaik des zweiten Apollofluges. Er liebte alle
Menschen, auch die Gottlosen. Er selbst war Asket und seine Schriften fütterten
alle Archive. Doch Skosk verlor alles so schnell, wie er es an sich gerafft
hatte. Sein Innerstes war aufgefressen, durchgetränkt von Tinte. Seine
Reden wurden im Laufe der Jahre stumpf und am Ende hörten ihm nur noch
Kranke und Verbitterte zu. Später verstrickte er sich in immer größere
Widersprüche und ein Sturm aus Blindheit und Hass fegte ihn aus seinem
Amt.
Er mußte fliehen und nur unter Aufgabe eines Großteils seines
Vermögens gelang ihm die Flucht über das Meer in jenes dünn
besiedelte Land des Hungers und der Armut. Lange Zeit pflegte er seine Rache
in einem Haus mit vielen Räumen, doch hielt er sich meist in den oberen
Stockwerken auf. Hier konnte sein Blick über einen verwilderten Garten
streifen in dem fast nur Erdbeersträucher wucherten. Sie kamen im Frühjahr
kurz zur Blüte und wenn der Wind ihre Blätter kämmte wog das
Herz von Skosk mit in Trauer.
Die Bediensteten kümmerten sich um alles, nur nicht um den Garten, denn
Skosk war es gewohnt, den Dingen ihren Lauf zu lassen. So boten die Sträucher
und Büsche ihre Nahrung den Vögeln an, die sich hier zahlreich versammelten
und Skosk liebte ihre Spiele und ihren Gesang. Nur die Raben störten
ihn mit ihren wissentlichen Gekrächze.
An einem Nachmittag im Frühjahr bekam er Besuch.
Der Mann war noch blaß von der Überfahrt, hatte schütteres
braunes Haar und und war schlecht gekleidet. Er wurde von zwei Dienern unfreundlich
empfangen wie er meinte, die Treppe hinaufgeführt und mußte auf
einem löchrigen Korbstuhl in Skosk`s Arbeitszimmer Platz nehmen. Skosk
selbst, so hieß es, sei noch zu einem Spaziergang mit einem Freund unterwegs.
Der Besucher mußte also warten und obwohl ihm Gastfreundschaft gefallen
hätte, bekam er weder Speise noch Trank.
Der Raum enthielt schwere, eisenbeschlagene Möbel, die überkommen
aussahen. Daneben standen wacklige Türme aus Büchern. Den blassen
Besucher packte die Lust zum Stöbern. Auf den Schriften auf Skosk's Schreibtisch
waren grosse Buchstaben zu sehen. Er schritt zuerst zum Fenster um hinauszusehen.
Von den vielen Menschen, die ihm seit seinem Abschied aus der großen
Stadt begegneten, waren ihm nur wenige gutaussehende Männer in Erinnerung
geblieben. Er genoß es, sich heimlich vorzustellen mit ihnen allein
zu sein, doch sobald ein Blick ihn traf verschloß sich sein Gesicht
zu reiner Geschäftigkeit.
Dieses Land war ihm fremd. Es war nicht besonders fruchtbar und die wenigen,
die es liebten trieben Handel und da das Leben gerecht zu ihnen war, besaßen
sie eine besondere Freundlichkeit. Die Gesetze der rauhen Hände, wie
man die Herren des Landes nannte, bestanden aus Mutmaßungen und Überlieferungen,
doch hielten sie die Menschen vor Verbrechen, oder gar Krieg zurück.
Eroberer hatten es nie geschafft dieses Land zu unterwerfen. Einige Personen,
die sich Verfehlungen geleistet hatten, konnten hierher fliehen und vor Verfolgung
einigermaßen sicher sein. Nicht bei allen erlahmte der Trieb zur Rückkehr
und so war unter Skosk's Führung ein feingliedriges Netz gesponnen worden
und wenn sich jemand darin verfing wurde er in Windeseile eingesponnen. Auch
der Besucher aus dem fernen Land ahnte nicht, daß er sich schon im Netz
der Spinne befand denn sein Geist nahm das Unsichere eher als Gewöhnung
wahr. Im Haus war es weiter ruhig.
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Die Sonne stand in mittlerer Höhe am Horizont und den Besucher überfiel
eine starke Müdigkeit. Langsam schritt er vom Fenster zurück und
bevor er sich wieder in den Stuhl fallen ließ nahm er das oberste Blatt
von Skosk's Aufzeichnungen und las. Skosk war inzwischen in die Nähe
seines Hauses gekommen. Stein, der Freund der ihn begleitete, war diesmal
noch stiller als die Tage zuvor. Skosk blieb hinter einem Baum stehen und
gab Stein ein Zeichen. Hinter dem Fenster seines Arbeitszimmers bewegte sich
jemand. Skosk hatte vor einigen Tagen einen Brief bekommen und ahnte, daß
etwas passieren würde.
Die Zeit war reif.
Des öfteren empfing er Briefe zur Aufmunterung aus der Heimat und aus
den verschlüsselten Botschaften sog er das Leben das er so schmerzlich
vermißte. Als die Gestalt am Fenster sich wegdrehte sagte Skosk: "Die
Zeit des Wartens geht zu Ende. Der langersehnten Anerkennung wird jetzt der
Weg bereitet. Ich ahne, daß die Angst der Verirrten ihren Höhepunkt
erreicht hat. Die Blase zur anderen Welt droht zu platzen. Wir sollten nicht
weiter grübeln. Ich glaube, daß wir bald ein neues, ein viel größeres
Haus zimmern können. Die alte Last wird von uns fallen wie der wurmstichige
Apfel vom Baum.
Stein erwiderte: "Sei nicht voreilig. Der Wind ist rauher als zuvor und
ich fürchte, daß unsere Hoffnung schnell wieder gedämpft wird.
Verlasse dich auf niemanden. Jeder beschwert dich mit lauter Fröhlichkeit."
"Trotzdem," widersprach ihm Skosk," ich habe das Alter der
feigen Tugend hinter mir gelassen. Sehr weit kommen friedfertige Gedanken
meistens nicht, wie du weißt. Von den Beinen meiner Jugend wich das
Fett und in jedem Winkel meines Kopfes brennt Feuer wie hinter schweren Gittern.
Wer könnte mich beerben? Die Stäbe sind vielleicht weiter geworden,
doch viele, die hindurchgeschlüpft sind, sind verhungert, oder haben
gleich ihren eigenen Dreck fressen müssen." "Warte doch!"
rief Stein, aber Skosk war schon verschwunden, betrat das Haus von hinten
und ging nach oben.
In seinem Zimmer schüttelte er die rechte Hand des Besuchers, die ziemlich
kaltschweißig war. Skosk tat so, als bemerke er es nicht. Sein Besucher
rutschte ein paar mal unruhig auf und ab, zog schließlich seinen Kragen
noch und räusperte sich: "Thur hat die Wächter des Vergessens
zu sich gerufen, weil ihm Einbrüche in die Blase des Schutzes den Schlaf
raubten. Aus dem Leichenschauhaus ist ihm über den Tod eines Boten berichtet
worden und jetzt fürchtet er Sarksas Rache, denn dieser erlaubt keine
Abweichung vom Weg der Vernunft." Bei den letzten Worten glich seine
Blässe der Wand. Skosk nahm ihn nur noch als gebündelten lautlosen
Schalls wahr. Wie könnte ich ihn vergessen?". Skosk drehte er sich
lachend um und blätterte in einem Haufen Notizblätter, die auf dem
Schreibtisch lagen. "Es ist eine große Verwirrung entstanden"
klagte der Besucher, "die Gemeinschaft läßt keine weiteren
Müßiggänger zu. Sie haben ihre Fahnen neu einfärben lassen
um die Einfachen noch weiter zu blenden." Nach einer kurzen Pause sagte
er noch: "Deine Schriften leben weiter in uns doch nun wird es Zeit für
das Zartrosa deiner Stimme."
Und war es nicht selbstverständlich daß der Fremde das Kind unter
dem schmutzigen Wegweiser an der Hand nahm und dem Schatten des Windes folgend
den Berg hinaufführte? Hatte es einer geschafft an diesen Wegweiser zu
gelangen? Mit Liebe gegen die Krallen der Einsamkeit gewappnet, waren die
Hände und die blühenden Augen über ihn gehalten. Es war der
Tag wo die gelehrigen Schüler der Schwerkraft einen Stich in ihrer Flanke
verspürten und ahnungslos in tödlicher Lust ihre Fäuste gegeneinander
schlugen. Der Kampf, dem sie entgegegentrieben bestäubte das Licht in
ihrem Schlaf.
Sie begaben sich zum Dorf der Hunde und trafen sich mit den obersten Hüter
des Vergessens und vom Turm des vergifteten Wassers verfolgten sie Augen voller
Zwietracht.
Doch der Kampf entschied sich nicht hier zwischen den vollen Lippen der Versuchung.
Mit ihrem Aufbegehren wurde nur der Keim gewässert, Freiheit grünte
in ihren ungeduldigen Herzen und verzerrte ihr Gesicht vor Glück und
Schmerz. Ein metallisches Leuchten überstrahlte die sandige Haut, die
sich zum Gebären rüstete.
Zu Tou dem Buchhändler, der ein kleines Geschäft in einer Seitengasse
der Prachtstraße führte, kam an diesem Morgen ein freundlicher,
aber ungebildet wirkender Mann der stark nach Alkohol roch. Seine Augen hatten
Tränensäcke, doch sein Gebaren war wißbegierig, denn die Bücher
nach denen er sich erkundigte waren Schriftensammlungen vieler Wissenschaftler
und selten wurde von dieser Sorte Käufer nach solchen Büchern gefragt.
Die Schriften, die der Mann kaufen wollte waren von schwer verdaulichen Inhalt
und dienten mehr der Inzucht der Geistlichen. Vielleicht war der Mann einer
der vielen unzufriedenen Lehrer der staatlichen Schulen. Er stelle Tou völlig
unzusammenhängende Fragen und blätterte nachlässig in den vorgelegten
Büchern. Schließlich gab er alles noch einmal zurück und meinte,
die Schriften seien ihm zu modern und er suche nach etwas Ursprünglichem.
Tou erbat sich genauere Auskunft, denn der Mann bremste die Kauflust der anderen
Leute im Geschäft. Er merkte es schließlich und gab vor, warten
zu wollen, damit Tou sie bedienen konnte. Dann ging er nach hinten in den
Laden um in Büchern ganz anderer Art zu blättern. In einem Buch
hielt er plötzlich inne. Tou glaubte das Zerreißen einer Seite
zu hören, trotz des Trubels, der um ihn herrschte. Schließlich
stellte der Mann das Buch zurück in ein Regal, ergriff ein anderes, legte
es Tou auf den Verkaufstisch, zahlte und ging hinaus ohne Quittung oder ein
Wort des Wiedersehens, so bestimmt, daß die Ladentür beim Schließen
fast aus dem Rahmen fiel und die Glocke zum bersten bimmelte.
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Tou starrte entsetzt über den Rand seiner Brille. Er war ein kleiner
Mann mit Rundrücken und breiten Nasenflügeln. Heute trug er wie
immer ein graues Hemd. Da er sehr kurzsichtig war, hatte sich sein Gehör
in den letzten Jahren stark geschärft. Ein rundlicher Bart wuchs ihm
um die Lippen und sein schlurfender Gang ließ ihn noch gehemmter und
unsicherer wirken. Als alle Kunden gegangen waren ging er zu dem Regal im
anderen Raum, nachdem er sich zuvor mit mißtrauischem Blick aus dem
Fenster versichert hatte, daß ihn niemand beobachtete. Das Buch in dem
dieser geblättert hatte lag zuoberst auf dem Regal. Es war ein antiquarisches
Werk dessen schäbiger Einband bisher jeden Käufer abschreckte. Tou
nahm das Buch mit nach vorne, wo mehr Licht war, lehnte sich neben einen alten
Vorhang ans Fenster, hielt das Buch sehr nah an seine Brille und schlug es
auf. In stümpferhaftem Druck leckte es ihm entgegen:
DIE TÜR, völlig schmucklos und nackt und ohne Angaben eines Verfassers.
Tou war überrascht. Zuerst blätterte er es hastig durch und schließlich
packte ihn die Wut, als er feststellen mußte, daß tatsächlich
eine Seite fehlte. Die Seiten waren zwar nicht numeriert, doch konnte man
genau die Reste der fehlenden Seite zwischen den anderen erkennen. Tou mußte
sich setzen. Nach kurzer Verschnaufpause begann er zu lesen.
Es begann: "Und jetzt, da jemand in dein Ohr, ein wirkliches Ohr flüstert,
daß die Brücke, die der immerwährende Regen in Taumeln versetzte,
auseinandergebrochen sei? Unerreichbar am anderen Ende der Wegweiser mit den
rostigen Armen, die leicht geneigt nach unten zeigen." Weiter konnte
Tou nicht lesen, da er durch erneutes Bimmeln der Türglocke in die Wirklichkeit
zurückgerufen wurde. Vor ihm stand ein richtig widerwärtig aussehender
Kerl mit grobschlächtigen Gesichtszügen der laut zu ihm sagte:"
Du bist Tou, der Besitzer dieses Ladens, nicht wahr?" Tou nickte , stellte
sich, so gut es ging, hin, warf das schäbige Buch auf einen Stapel Bestellungen
und fragte mutig: "Was wollen Sie?". Der Angesprochene verzog das
Kinn und indem er mit den Zähnen nach links und rechts knirschte, wippte
er mit den Zeigefingern rhythmisch auf und ab, stoppte dann abrupt, als wolle
sein schwerer Schädel etwas überlegen:" Nun, ein älteres
Buch, antiquarisch, DIE TÜR heißt es, glaube ich. Ich habe eine
neuere Ausgabe hier dabei." Er griff in seine Manteltasche und hielt
Tou ein Buch mit schönem, glänzenden Einband unter die Nase, ein
wirklich schönes Buch mit vergoldeten Seiten. "So ähnlich könnte
es aussehen, nur dieses Buch ist ein wertloser Nachdruck, sie verstehen, was
ich meine." "Nein", gab Tou kleinlaut zur Antwort. "Nun,
dieses Buch ist eine Fälschung, eine wertlose Abschrift oder was auch
immer." Jetzt wurde er leiser und kam näher heran:" Es ist
zu vermuten, daß bald ein anderer Mann hierherkommen wird um dieses
Buch zu kaufen und mein Vorgesetzter," hier wurde er irgendwie feierlich,"
bittet dich, ihm dieses hier auszuhändigen und falls du noch eine Originalausgabe
besitzt, sie sofort ans uns abzutreten."
Tou blickte scheinheilig. "Es ist eine Menge drin für dich, wenn
du tust um was wir dich bitten, oder du bekommst eine Menge Ärger. Also
hast du nun noch eine Ausgabe oder nicht?"
"Ich muß nachsehen," faßte sich Tou ein Herz und tat
so, als ob in einer Liste nach dem Titel schaute. Der Mann beobachtete ihn
mißtrauisch. Es gibt vielleicht nur noch ein einziges Exemplar davon
und dieses hat der Verfasser selbst, nehme ich an." "Na gut",
erwiderte der andere und schob sein Buch zu Tou hin. "Wir schenken dir
das hier und du händigst es an die Person aus, die sich speziell danach
erkundigen wird, noch schöner wäre es, wenn du ihn, falls er kommt,
hinhalten könntest und uns gleichzeitig anrufst unter dieser Nummer",
wobei er Tou einen Zettel vorlegte mit einer Telefonnummer, ohne Angaben eines
Namens. Schließlich bemerkte er noch: "Du kannst das Buch ruhig
lesen, für Leute wie uns", sprach er kollegial, "ist es sowieso
bedeutungslos, aber denke an unserer Abmachung. Bis dann, ich komme wieder",
rief er noch und war schon verschwunden.
Tou rieb die zitternden Knie aneinander, griff nach dem schönen, vor
ihm liegenden Buch als sei es aus siedendem Öl und schlug den Deckel
auf. In schönster Schrift stand dort zu lesen: DIE TÜR, ein Werk
von J. und Cait und dem Fremden. Jetzt hastete Tou nach vorne, hängte
sein "geschlossen"-Schild an die Tür, legte sich beide Bücher
zurecht, las Seite für Seite doppelt. Lange Zeit war kein Unterschied
festzustellen. Tou überfiel eine leichte Übelkeit bei dem Gedanken,
so weiterlesen zu müssen. Schließlich legte er beide Bücher
beiseite, öffnete seinen Laden wieder, da er sicher war, daß kein
Käufer für das Buch auftauchen werde. Seine Angst wich einer heimlichen
Freude, daß er den Mund gehalten hatte, dann verschloß er beide
Bücher in einer Schublade.- Während im Haus des Brückenbauer
langsam Ruhe einkehrte und die Hunde ihre Schnauzen hielten um an ihren Herrn
zu denken, der ihnen in des Morgens freien Atem das rohe Fleisch zuwirft,
fing das Kind an zu träumen. Es sah Licht am anderen Ende der niedrigen,
hohl-rundlichen Brücke, weit noch entfernt, ein faseriges Licht ohne
Blendung das es herausführte aus dem Dunkel zu einer sich schlängelnden
Straße aus Sand, die zu einer Anhöhe führte.
Der Sand war heiß und knirschte unter den Füßen, denn der
Berg hatte vor nicht allzu langer Zeit seine Eingeweide erbrochen. Auf der
Anhöhe befand sich eine Gastwirtschaft. Die Fenster standen schräg
und unklar war, was sie zusammenhielt.
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Über die Fenster hinaus türmte sich ein fahlgelb getünchtes
Haus, das sich nach oben zu einer fünfeckigen Terrasse verjüngte.
Aus der Gaststätte drang Stimmengewirr. Mit viel Mühe erreichte
das Kind den Türöffner und während es sich mit den Füßen
zurückstieß und am Türgriff baumelte, bewegte sich die schwere
Tür ein bißchen und die Stimmen wurden lauter. Das rote runzlige
Gesicht einer Alten erschien im Türrahmen. Sie winkte freundlich mit
ihren gichtigen Fingern. Das Kind fiel vor Schreck auf das Gesäß.
Die Frau lachte schadenfroh und winkte noch einmal, wobei sie ihren Kopf wie
eine Schildkröte herausstreckte und sich nach allen Seiten umsah. Die
Straße schnitt vor der großen Brücke ab. Kein Mensch war
zu sehen. Über dem Berg lag fiebrige Luft und die Sonne stand in ihrer
schattenlosesten Höhe. Das Kind sprang auf die Beine und folgte der Alten
in die Wirtsstube. Durch die Fenster fiel ein mildes, geräuchertes Licht
und hüllte die Gesellschaft ein zu bläulichen Statuen aus Wismut.
Das Kind kletterte auf einen Stuhl in der Mitte der Wirtsstube und stampfe
kräftig mit den Füßen. "Ich bin hier!" schrie es,
während einer der Männer sein Bein zu grabschen versuchte. "Ich
habe dich, ich habe dich", lachte er, rutschte jedoch von seinem Stuhl
und knallte mit dem Kopf auf den Boden. Der besoffene Mann schnaubte und stöhnte.
Jetzt war der Rest der Meute dazugetreten und klatschte.. Ein hohlwangige
Frau mit blechblauen Augen sang unter dem Geheul der Menge:
Tot ist jede falschen Scham
Aus tiefen Tälern dringt ihr Schrei
verrückt nach sternentiefer Haut
Komm, Wärme, Leben Sei!
Verwünschter Stärke Lachen
Des Seiens Überdruß
erbricht der Berg sein zähes Brot
Komm, Wärme, Leben, Muß.
Der Fremde stieg im halbdunkel aus dem Bett und suchte sich einen Weg zu der
kleinen Küche. Wie recht es ihm war, so früh morgens niemandem zu
begegnen. Mit trockenem Holz entfachte er ein Feuer um Kaffee zu kochen. Er
fror etwas und war noch müde. Mit jedem Schluck floh die Müdigkeit
aus seinen Augen und er genoß die Stille und die Morgenröte. Aus
dem hinteren Fenster sah er die grünen Hügel und die Berge. Beim
Anblick seines Bündels, das achtlos in der Ecke lag, überkam ihn
Fernweh. Während er einige Bissen Brot verschlang, sein Rücken wund,
vernahm er das einsame Bellen eines Hundes in der Ferne, vielleicht war es
auch ein hungriger Wolf. Er betrachtete sein Bündel genauer. Er nahm
Schreibzeug heraus und trank seine Tasse leer, füllte sie erneut und
schritt zum Fenster, weil er noch zweifelte. Der Hund in der Ferne war verstummt.
Wenige Atemzüge von ihm entfernt schlief Aidoca. Matt betrachtete er
ein Bild, das an der Wand hing.
Ohne lange dabei zu verweilen strich er sich über sein strähniges
Haar und ging mit halbvoller Tasse an den Tisch zurück. Er schrieb folgenden
Brief an Aidoca:
"Nachdem ich erkannt habe, daß alles, was ich tue bei Dir auf Ablehnung
stößt, habe ich mich entschlossen, allein weiter zu gehen. Ich
glaube, daß Ruhe und Abgeschiedenheit notwendig sind. Die Schwere ist
noch nicht aus meinem Kopf gewichen und aus meinen Augen blickt noch die Sorge
und nicht die Unbekümmertheit. Nachdem die Spielregeln und der Sinn der
Spiele durchschaut sind ist der Gewinn vom Spiel unabhängig geworden.
Der Weg ist schmal. Einfache Freunde suchte ich und auch dort wo Unkraut wuchert
fand ich schöne Blüten. In rauher Luft und Nebel blühen sie
nur kurz. Die letzten Schmuckstücke habe ich abgelegt und atme die angewärmte
Frühlingsluft. Weiter hinten zu leben, rastlos in der Fröhlichkeit
der ungeliebten Kinder, das ist der Sinn meiner weiten Reise. Einst wird aus
der Brandung erneut Leben an Land gehen um festen Boden unter den Füßen
zu haben. Aidoca, wahre das Kind gut bis zu meiner Rückkehr im Winter.
In der Dürre des Sommers wird der Haß versiegen und die Hunde werden
Not leiden. Meidet die große Stadt, bettelt nicht nach Essen aus den
Trögen des Stillens."
Den Brief legte er ohne weiteren Gruß auf den Tisch, stellte eine leere
Blumenvase darauf, räumte das Geschirr weg und warf einen letzten Blick
auf das Bild an der Wand. Es zeigte in grellen Farben das Gesicht eines Mannes
mit tiefschwarzen Augen, die nach innen gestülpt schienen. Sein Blick
kerbte sich in die Augen des Betrachters. Es war vielleicht das Portrait des
Brückenbauers in früheren Jahren, modern und schattenlos, vielleicht
ein Selbstportrait. Er griff nach seinem Bündel, verstaute sein Schreibwerkzeug,
wickelte die Leine mehrmals um seine rechte Hand und verließ den Raum.
Die aufgehende Sonne blendete ihn. Mittags hatte er schon eine nicht geringe
Entfernung von Aidoca, dem Kind und dem gastlichen Haus zurückgelegt.
Schließlich kam er zu der Wegkreuzung zu der großen Stadt. Hier
setzte er sich ein wenig einsam auf sein Bündel und legte den Kopf in
seine Hände. Der breite, ausladende Weg zur Stadt lockte ihn.
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Er wurde geziert von stattlichen Bäumen aus deren Knospen sich rosa Blüten
drängten. Es war das Bild des plötzlichen Fingerzeigens. Die Straße
ließ sich mit dem Auge verfolgen bis sie sich hinter einer ellenbogenartigen
Abknickung am Ende des Tales verlor. Dort begann der Blätterteig der
roten Felsen sich allmählich vom Grün der Landschaft abzuheben.
Die Bäume saugten wo es kärger wurde, ihr Wasser aus tiefen Quellschichten,
denn der Fluß der gleichzeitig zur Stadt lief brachte nicht immer genug
davon mit und war im Sommer oft trocken. Ansonsten fiel das Wasser durch eine
zähe, bernsteinfarbige Konsistenz auf und viele Flocken trieben darin.
Als er das letzte Mal diesen Weg gegangen war, so erinnerte er sich jetzt,
sah er ein paar Bauernjungen aus einem der spärlich verstreuten Bauernhöfe
im Fluß baden. Es war ihm schon damals aufgefallen, daß sie vermieden
zu tauchen, wie sie es sonst in einem See getan hätten. Er hatte freiwillig
an ihrem Bad teilgenommen, konnte sich aber nicht an einen schlechten Geruch
oder Geschmack des Wassers erinnern, nur ein wenig seifig war es ihm vorgekommen.
Wahrscheinlich lag dies an der Trägheit des Flusses und an seinem klebrigen
Bett. Die Bauern hatten ihn hinterher zu einer guten Mahlzeit eingeladen und
von den Mädchen in der Stadt erzählt.
Sie hatten eine derbe Sprache und ihre gewitzten Augen fieberten schon dem
nächsten Markttag entgegen. Von einem der Mädchen schwärmten
sie besonders, von ihrem einladenden Blick und ihrer gleichzeitigen Unnahbarkeit.
Die Burschen saßen meist auf der Mauer, während ihr Vater das Gemüse
verkaufte, und ihre Beine wippten ungeduldig. Zu einer Unterhaltung mit der
Schönen war es jedoch nie gekommen, sie kannten noch nicht einmal ihren
Namen.
Plötzlich wurde die Sonne über ihm verdunkelt und als er nach oben
sah stand ein dunkelhäutiger Mann mit großem Bart und eingedellter
Nase über ihm, der ihm zulächelte: "Ich bin Couh, aber alle
nennen mich Cowboy." und streckte ihm wie zum Verbleiben die rechte Hand
hin. Cait erwiderte den Gruß. "Es gibt genügend Platz hier.
Wenn du Rast machen willst, setz` dich zu mir." Cowboy verknotete seine
langen Beine und nahm Platz. Warum er seine Tasche so behutsam auf den Boden
stellte, wurde klar, als er eine Flasche Schnaps herausholte. Behutsam entfernte
er den Korken, nahm einen tiefen Schluck und nach herzhaftem Aufstoßen
reichte er wortlos die Flasche weiter. Cait lehnte dankend ab. "Wo willst
du hin?" fragte Couh. "Wenn du in die Stadt willst, ist es ratsam,
nicht zulange zu verweilen, denn wie ich hörte gibt es nach Sonnenuntergang
eine Ausgangssperre." "Ich bin noch unentschlossen, wohin ich gehen
soll. Zuerst wollte ich die Stadt meiden und schritt mutig an diesem Wegweiser
vorbei, dann habe ich mich hier niedergelassen um abzuwarten. Das letzte Mal
fiel mir der Gang leichter, doch der Mann den ich damals besucht hatte, wohnt
nicht mehr in der Stadt. Heute kenne ich dort niemanden mehr, aber das bunte
Treiben lockt mich trotzdem." Der Schnaps zeigte bei Couh erste Wirkung,
vor allem wegen der starken Sonne."Wenn du in der Stadt nichts zu erledigen
hast, dann laß' die Finger davon. Ich meine, die Stimmung ist mies momentan
und überall herscht große Hektik. Es sollen neue Bauwerke errichtet
werden, alte Häuser werden abgerissen. Ich habe gut verdient das letzte
Jahr, aber dieses Jahr soll für Bauarbeiter weniger Geld da sein. Neue
Kleider hätte ich schon nötig. In dem Dorf aus dem ich komme, gibt
es keine Arbeit, außerdem gibt es dort zu viele Handwerker, die alle
nur selten etwas zu tun haben, du weißt schon." Der Fremde atmete
tief aus und sah Couh alias Cowboy lange an. Nachdem dieser eine Flasche geleert
hatte, zauberte er schon eine neue aus seiner Tasche. Diese war noch fest
verschlossen und er hatte Schwierigkeiten sie zu öffnen. "Erzähle
mir von dir, ich bin neugierig", sagte Cowboy. "Das habe ich mir
schon gedacht", entgegnete Cait und nahm diesmal einen guten Schluck
aus der Flasche. Schließlich erzählte er von Aidoca, ihrem Vater,
von den Hunden und was ihm gerade so einfiel. Cowboy war gut gelaunt und stellte
immer wieder Fragen, war jedoch bald zu betrunken um die Zusammenhänge
zu verstehen. Irgendwann schlief er mitten im Gespräch ein und begann
zu schnarchen.
Ende Kapitel 2.....................3.Kapitel