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Und jetzt, da jemand in dein Ohr, ein wirkliches Ohr flüstert, dass die
Brücke, die der immerwährende Regen in Taumeln versetzte, auseinandergebrochen
sei? Unerreichbar am anderen Ende der Wegweiser mit den schmutzigen Armen,
die leicht verrostet nach unten zeigten. Dort starteten wir.
Selbstverständliche Schatten des Windes die einen Berg hinaufmarschieren
wollten. In der Ferne parkten graue Wolken. Wir waren zu zweit und machten
nur kurze Rast. Kaum dass uns Zeit geblieben wäre einen geeigneten Schlafplatz
für die hereinbrechende Nacht zu suchen, trat ein Mann in Lederkleidung
auf uns zu und sprach: Eure Rückkehr erzeugt Unmut in mir.
Wo habt ihr euch die ganze Zeit herumgetrieben? Meine Laune treibt neue Blüten
voller Hochmut in nachtwandlerischer Weise. Jahre sind vergangen, dass unsere
Wege sich trennten. Ich bin abgerückt von jeder überirdischen Verdrehtheit
aus Leidenschaft und Nichtstun".
Das Gebirge glänzte schaurig in der Abendsonne. Jemand schrie geräuschvoll.
Er fuhr fort: Für diese eine Nacht gewähre ich euch Schutz in unserem
Lager. Aber seid gewarnt! Euer Vorhaben ist unsinnig und verderblich. Durch
die Tür könnt ihr nicht hindurch".
Als die drei das Lager erreichten, strömten immer mehr Lagerbewohner
herbei. Sie waren wild und schön und tranken viel. Nach dem Rausch kam
eine unbezwingbare Fröhlichkeit auf, die jeden ansteckte. Die Nacht sollte
nur wenig Schlaf bringen. Lange brannte Holz, wurden Lieder gesungen. Später
schlief jeder auf seine Weise.
Ein Kind lief zur Quelle, verfolgt von zwei anderen, die über die Schlafenden
hinweg sprangen. Der Mond beleuchtete die Träume in den Gesichtern. Die
Kinder kuschelten sich an eine Frau mit langen dunklen Haaren, die neben dem
Feuer lag. Es war eine kalte Nacht doch an Holz bestand kein Mangel. Nur langsam
kam der Morgen.
Es wurde Milch und helles Brot gereicht. Einige Personen beschäftigten
sich mit Sachen, die niemand verstand.
Ich stach in meinem schwarzen Mantel nur unwesentlich von den übrigen
ab und as schweigend. Eine hagere Frau raunte mir zu: Bleib doch hier",
und indem sie die Knie bis zum Kinn hochzog sagte sie noch: Ich hatte zweimal
diese Krankheit, es war eine Schande. Ich kam mir vor wie Abfall. Die Einfachheit
hat mir geholfen, das Sehen, nicht das Denken".
Ich zog die Augenbrauen zusammen und versuchte sie zu verstehen.
Eine Träne wie ein zarter Lichtschein tropfte aus ihrer Pupille als sie
mir zuflüsterte: Alles geht seinen Weg". Jetzt stand das Kind an
meiner Seite. Es hatte ein paar Kratzer auf der Stirn vom Spiel.
Nach der üblichen Abschiedsszene entfernten wir uns von der Gesellschaft
und erreichten nach längerer Wanderung ein Tal mit buntgefleckter Landschaft.
Das Tal wirkte unnatürlich nah und weich.
Der Abstieg gestaltete sich schwieriger als mir lieb war.
Gerade an einer sehr steilen Stelle des Weges, dort wo rechts ein mit Blumen
übersäter Abhang gaffte, stolperte ich über eine Baumwurzel
und rutschte ein paar Meter in die Tiefe. Ich konnte mich im letzten Moment
an ein paar Grasbüscheln festhalten und winkte mit den Beinen hilflos
in den Abgrund. Das Kind schrie so laut es konnte. Schliesslich schraubte
ich mich vorsichtig ein wenig höher als eine schwielige Hand mich packte
und mir Halt bot. Ich blickte nach oben wie in in einen Spiegel.
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Mit einer Kraftanstrengung hob mich jemand hoch.
An dieser Stelle ist vor einigen Jahren ein einsamer Wanderer verunglückt.
Sein Schrei klingt noch in meinen Ohren. Kommt mit in mein kleines Haus weiter
unten, dort könnt ihr euch waschen und ausruhen."
Vorsichtig gingen wir bergab und nach etwa einer Stunde erreichten wir die
Hütte des Bergmannes. Dessen Frau sass in einem dampfenden Bottich und
badete. Dieser Anblick liess mich meine Missgeschick vergessen, und ich tauchte
meine Hände in die seifige Brühe was die Badende erschreckte.
Der Mann sagte leise: Auf dem Tisch steht das Mittagessen, ich glaube, es
reicht für uns alle," dabei grabschte er nach ihrem glitschigen
Körper.
Schau uns beim Essen zu!" raunte er sie an.
So geschah es auch, und nach dem Essen trocknete sie sich vor unseren Augen
mit aufgeheizten Tüchern. Der Bergführer sah gleich viel netter
aus als er sagte: Weiter unten im Tal gibt es noch mehr solcher Häuser
wie das unsrige.
Viele, die hier wohnten, sind weggezogen, weil sie dieses erbärmliche
Leben satt haben. Selten kommen Wohnungssuchende vorbei. Wie steht es mit
euch
beiden"?
Er griff mit drei Fingern in ein urnenähnliches Gefäss und krümelte
die Asche darin über den Teller.
Als er merkte, dass ich mich wunderte, sagte er. So ist es Brauch hier, für
Friedhöfe ist der Boden zu hart."
Der Mann schien etwa vierzig Jahr alt zu sein. Die Fingernägel von Daumen,
Zeige- und Mittelfinger waren abgewetzt, die Handinnenflächen voller
schmutzig-gelber Schwielen, das Gesicht von der Sonne verbrannt.
Wir können nicht hierbleiben," erwiderte ich barsch.
Ich kann mir denken, dass ihr jede Art von Geselligkeit sucht, doch damit
können wir nicht dienen. Ich gehe nicht noch mal zurück.
" Wohin willst du überhaupt?", fragte die Frau und legte den
Kopf seitlich in ein Handtuch um ihren Gehörgang zu säubern.
Ich suche eine Wohnung in der Stadt, einen neuen Job, keine Ahnung."
Hierbei trank ich missmutig von dem angebotenen Wein. Die Frau lachte. Du
bist völlig verrückt. Weisst du nicht, was in der Stadt los ist.
Die Körperlosigkeit hat sich aller bemächtigt. Ich bevorzuge jedoch
Typen mit breiten Schultern.
"Macht nichts," entgegnete ich im Zeitgeist, ich bin niemand der
etwas besitzen will, nur um unbemerkt seines Weges gehen zu können".
Ich habe verstanden," unterbrach sie mich und gab dem Mann ein Zeichen,
worauf dieser eine Flöte aus seiner Tasche zauberte und darauf spielte.
Spiel uns lieber was Vergnügliches," sagte sie zu dem Bergmann,
nichts vergründig Stilistisches bitte.
" Ich war früher oft in der Stadt", fuhr sie besänftigend
fort, und ich muss immer daran denken, wenn ich diese Musik höre."
Der Mann nahm die Flöte aus dem Mund und wiegte sie in einer Hand.
Ich sagte nonchalant: Musik ist unbezahlbar, sie ist wie der Schlüssel
zu der Tür."
Sie äfften spontan zurück. DieTür!", kam es beiden aus
einer Lunge, Die Tür!".
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Inzwischen war der Nachmittag hereingebrochen. Vor der Hütte lockte ein
sanfter Hügel die längerwerdenden Strahlen der Sonne an. Kleine
Nebelstreifen fielen durch die Fenster. In einer braunen Flasche mit faulem
Wasser verwelkte eine Aster. Der Schatten des Fensterkreuzes lag wie ein partielles
Spinnennetz auf dem Boden, während stille Fäden ultraviolletten
Lichts die ausgetretenen Löcher stopften. Blauer Rauch aus dem Holzofen
waberte als Schmutzfilm die Decke entlang. In der Eichenkommode tropfte zäher
Sirup aus einer zerbrochenen Flasche.
Plötzlich waren Schritte zu hören. Ein leises Klopfen folgte. Herein
kam eine jüngere Frau, deren wehender Rock sich in solchem Gegensatz
zu ihrem unbeweglichen Oberkîrper befand, dass man sie nur halb gehend
zu sehen schien. Sie nahm direkt neben mir Platz und wurde mir als die Schwester
vorgestellt. Sie atmete schnell und oberflächlich bis ihr Schwager sie
in den Arm nahm und drückte.
Sofort stand ich auf, verliess das Haus und schritt auf den Hügel zu.
Die Anderen warteten eine Minute und folgten mir. Wir waren wie Freunde, die
Bäume hätten ausreissen können, bei dem Versuch daran hochzuklettern,
jedoch scheiterten.
Dreimal schlug ich mir an den Kopf. Ganz klar, dass das Künstliche dem
Menschen besser gefällt, als das Natürliche. Hervorhebung des Künstlichen
verhindert die Sichtbarmachung der Vergänglichkeit. Viele meinen dies
sei notwendig, sonst gäbe es keine Träume mehr.
Die Sonne färbte sich langsam rot und ein kühler Wind strich mir
durchs Haar. Um mich herum grünte alles, der Sommer rückte näher.
Irgendwer hatte einen Geigerzähler achtlos ins Gras gelegt und zeichnete
die Strahlung auf. Ich dachte an ein Bad. Hier bestand die Friedlichkeit gerade
in der Enge der Wahrnehmung und kitzelte ein wenig. Mein Kopf schien leer
zu sein. Ein Bild kann schöner sein, als sein Besitzer, sank es mir durch
den Sinn wie Sand durch eine Uhr.
Es war klar, dass diese Welt einen hohen Wahrheitsgehalt hat, aber selbst
ewiger Wechsel erscheint aus der Distanz wie ein geruchloses Kontinuum.
Am schwersten fällt die Reduktion der Dinge auf ihre ursprüngliche
Beschaffenheit. Die Verschmelzung beider Welten ist schöner als Klatschmohn
und die gewöhnliche Distel ist das ungekrönte Abbild des gegrausamten
Menschen. Ich war eingeschlafen und gerade dabei eifersüchtig von einer
Welt ohne Kulissen zu träumen, als aus dem Nichts eine Stimme zu mir
sprach:
Ich will dich nicht stören", und als ich die Augen öffnete
erkannte ich die Schwester der Frau. Willst du auch dein Haus vermieten?".
Nein" erwiderte sie. Ich bin nur gekommen um dir zu helfen. Du bist nämlich
schlecht vorbereitet.
Dabei gibt es einen goldenen Esel, den du nur zu streicheln brauchst und schon
weisst du wie es weitergeht. Dort steht er, in seiner kleinen Fischerhütte,
genau in der Mitte, auf einer eisernen Bodenplatte. Hebe ihn hoch, darunter
liegt ein vergessener Schatz. Nimm ihn mit du brauchst ihn.
" Unterschätze mich nicht", erwiderte ich grob, damit sie mich
in Ruhe lassen sollte". Sie sah schräg nach unten und verzog den
Mund. Alles roch nach Mirabellen. Ich fragte sie: Hat die Vergangenheit immer
noch eine solche Bedeutung für dich?".
Wie Lava aus grosser Tiefe quoll ein -ja- aus ihr. Noch sehe ich es vor mir,
spüre dieses Zittern in der Luft, Blicke die bis zum Boden reichten.
Ein fahles Rosa erschien am Himmel, fiel direkt in mich hinein und machte
Wasser und Regen aus meinem Schmerz. Aber nichts tat sich. Ich lag ausgestreckt
auf dem Boden und fror entsetzlich.
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Schliesslich ging die Sonne unter.
Plötzlich hatte sie meine Hand genommen und drückte sie. Wenig später
lag sie in meinen Armen und weinte.
Ich lenkte unsere Schritte auf einen Weg, der vom Haus wegführte. Nach
geringer Wegstrecke erreichten wir ein Dorf und wir sahen Licht in den Häusern.
Der Turm einer Kirche fehlte hier, dafür gab es ein grösseres, rundliches
Gebäude, einem Wasserturm ähnlich, aber mit vielen Erkern, an denen
Generationen geübt hatten. Man sah, dass die meisten Anwesen langsam
verfielen und niemand Anstalten machte, dies zu ändern.
Als wir fast die Mitte des Dorfes erreicht hatten, ertönte ein wildes
Gekläffe und mehrere räudig aussehende Hunde gesellten sich zu uns,
mit pfauförmigen Schritten uns folgend wie Wildgänse im Flug und
sie wollten einfach nicht aufhören zu bellen.
Unruhig schritten wir weiter bis zum Marktplatz. Dort setzten wir uns auf
eine Mauer und hielten uns unter den Armen fest. Ich spürte eine leichte
Beklemmung als sich ein älterer Mann näherte und damit auch die
Hunde wieder anlockte.
Er ging geradewegs auf mich zu und sagte: Du musst verrückt sein, mich
hier aufzusuchen", und nahm dabei meine Hand aus ihrer Achselhöhle
um sie sich selbst zu einem freundlichen Händedruck zu reichen.
Bitter schmeckt die Einsamkeit aber ich musste alleine zurechtkommen. Mit
jedem Tag wird mein Einkommen geringer und meine Erinnerung stärker.
" Ich antwortete spöttisch: Ich bin sprachlos". Der Alte umarmte
mich endlich und grinste. Ach, so will ich es dich nur glauben machen, in
Wirklichkeit freue ich mich, dich zu sehen.
" Es ist gut so," antwortete ich ihm direkt ins Gesicht, ich komme
nicht allein wegen der Brücke wie du vielleicht denkst, es wird ein Leichtes
sein, sie wieder aufzubauen. überlasse es den Jüngeren, sie sollen
sich Gedanken machen und ohne Furcht vor dir kommen sie besser zurecht. Dieses
Dorf ist ungeeignet für ein Denkmal, es passt besser in eine Stadt."
Ich drückte noch einmal seine Hände und sagte zu der Frau. Ich möchte
dich für heute Nacht um einen Platz in deinem Haus bitten, deinem Schwager
kann ich uns nicht zumuten." Die Frau lachte leise: Meinetwegen"
und zeigte auf den Alten. Mach dir um ihn keine Sorgen, er ist mein Vater".
Bei diesen Worten brachen wir alle in Lachen aus. Unsere Verlegenheit blieb
durch die stärker hereinbrechende Nacht verborgen. Der Alte sagte: "Kommt,
lasst uns nach Hause gehen, ich bin hungrig. Der Platz und die Hunde gefallen
mir nicht".
Wir gingen schweigend eine kleine Gasse hinunter, gelegentlich von den hässlichen
Kötern angekläfft. Ich hatte mich gefasst und begann mich über
den Alten zu wundern, wie er ab und zu nach den Hunden trat. Bald erreichten
wir ein gemütlich aussehendes Häuschen. Auf leises Anklopfen wurde
geöffnet. Wir betraten der Reihe nach einen engen Flur und schritten,
den Staub von der Kleidung klopfend, an einer dicklichen Person vorbei, die
sich nicht davon abbringen liess dem Kind einen feuchten Kuss auf beide Wangen
zu drücken. Schnell war ein warmes Bad bereitet, das wir als Gäste
hocherfreut nutzten. Die Zeit ging wehmütig ihrer Beschäftigung
nach und während im Haus des Brückenbauers ein bescheidenes Abendessen
gereicht wurde, waren auf dem Dorfplatz eilige Schritte zu hören.
Die Nacht verriet nicht die Absicht der Person, die mit trockenem Mund an
den wütenden Hunden vorbei in Richtung Stadt floh.
Viel weiter oben hatte man die Köpfe zusammengesteckt, Mehrere Männer,
einer davon mit hoher Stirn und breitem Mund suchten nur ein wenig schmutzige
Abwechslung beim Glücksspiel.
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Ocht, der Mann mit der hohen Stirn sprach zu seinem dünnen Gegenüber:"
Ich habe dich rufen lassen, denn du kannst am schnellsten laufen.Mein Auftrag
wird dich heute den Schlaf kosten. Laufe in die Stadt und berichte den Gebildeten
alles was du gelauscht hast.
" Der Dünne mit dem faltigen Hals antwortete: " Nichts Erwähnenswertes.
Ein Feuer wurde gemacht, Wasser habe ich rauschen hören, gelegentliches
Kichern und Gespräche am Tisch über das Essen und vergangene Zeiten.
Wirklich nichts Aussergewöhnliches.
" Du Dummkopf!", schrie Ocht und griff ihn am Kragen. Wer hat dich
nach deiner Meinung gefragt?", und zog ihm das Hemd fledermausartig zusammen.
Ich glaube ich muss deinen Ohren Flügel verleihen". Dabei schlug
er ihm quer über das Gesicht. Dies wird dein letzter Auftrag sein",
und indem er ihn fast schwerelos beseite warf schrie er." Du hast noch
nie etwas verstanden. Das Salz verdampft in deinen Augen, ich bezweifle deine
Echtheit." Herrisch schlug er fest auf den Tisch dass der Rest der Meute
verstummte.
Ihr Dummköpfe seid verloren, wenn ihr euch nicht zusammenreisst und tut
was ich euch sage. Hütet euch vor meiner Langeweile, sie kann euch töten."
Hierauf hatte der Angesprochene auch schon den Raum verlassen und rannte so
schnell er konnte, und dass niemand ihn sah, gebückt, davon.
Unterwegs wurde sein Hals noch trockener und er torkelte dem Morgen in der
Stadt entgegen. Ihm sprühten Lügenfetzen durch sein Gehirn. Fast
taub waren seine Füsse und unsicher sein Gang als er die gelbe Halle
am Rande der Stadt betrat.
Ein letztes Mal hämmerte es ihm durch den Kopf: Hüte dich vor meiner
Langeweile, sie kann dich töten."
In der Halle sassen viele Arbeitssuchende, die mit eingedrehten Armen auf
einen Zuruf warteten, der ihrem Schicksal eine vielleicht dramatische Wendung
geben könnte. Sie bemerkten nur flüchtig die Hitze in seinem Gesicht.
Langsam kam ihm der Atem zurück und die Drehung in seinem Kopf bremste
ihre Fahrt.
Hungerprobleme dachte er bei sich, ein Haus wird vor dem Abbruch gerettet,
kleine Schicksale kleiner Leute.
Sein Hals rekelte sich dürr nach vorn als ein undeutlicher Name durch
die Halle gerufen wurde. Gulck, oder so ähnlich rief einer mehrmals laut.
Gulck, was für ein schrecklicher Name für einen dieser Hungerleider,
dachte er bei sich und er verdrehte den Kopf zu dem Aufseher der nicht weit
von ihm stand und in seiner dynamogrünen Uniform wenig ehrerbietend aussah.
Niemand erhob sich, obwohl alle beim Erscheinen des Aufsehers die Stuhllehnen
gepackt und bis zur Schmerzgrenze gedrückt hatten. Ein weiteres Mal plärrte
es Gulck". Die Griffe lockerten sich jetzt, die Hälse schraubten
sich zurück.
Als die erste Unruhe verschwunden war, überwand unser Botschaft seine
Feigheit und folgte dem Uniformierten in eines der Zimmer. Sind sie Gulck?"
fragte dieser kurz und schloss die Tür hinter sich und sichtlich aufgeregt
antwortete der andere: Ja der bin ich, ich bringe wichtige Nachrichten."
Der Aufseher verliess jedoch wortlos den Raum und der falsche Gulck vernahm
das Drehen des Schlüssels in der Tür. Er näherte sich schwankenden
Schrittes einem Tisch in der Mitte des Raumes. Die Fenster waren vergittert
und das Sonnenlicht fiel in das Zimmer. Der falsche Gulck nahm es auf wie
der Anfallsüchtige den Bisskeil aus Gummi und altem Blut. Seine Schritte
wurden unsicherer und seine Augen glotzten auf den glatt polierten Tisch,
dessen Kanten fein säuberlich gedrechselt waren. Auf dem Tisch stand
eine Wanne und darin lag Fleisch mit vielen Rippen und daneben ein mit Fett
vollgesogener Holzklotz, der wie Schokolade glänzte. Das Fleisch schien
noch zu
pulsieren. Ein Streifen Blut robbte gegen das Tischende zu.
Gulck spürte ein flaues Gefühl im Magen. Gelblicher Nebel drang
von aussen in den Raum. Die Tür liess sich jedoch nicht öffnen.
Daher sprang er zum Fenster, riss es weit auf als wolle er einen Freund umarmen,
und sog gierig Morgenluft in sich hinein. Hell wurde ihm da um`s Herz als
er das Leben draussen sah, doch der Nebel zog ihn zurück auf den Boden.
Mit einem Knall sprang die Tür plötzlich auf und ein violett gekleideter
kleiner Mann störmte herein mit einem Filzhut auf dem Kopf.
Du wolltest dich wohl vordrängeln, ich bin nämlich der richtige
Gulck. Verlasse den Raum, denn ich habe zu arbeiten."
Der Bote musste schlucken. Im Hinausgehen vernahm er noch wie der echte Gulck
rülpsend in einer Tasche kramte und Messer und Scheren herausholte.
Er schritt langsam durch die Halle. Keines der Stadtgesichter schaute ihm
nach. Draussen setzte er sich auf die Stufen der Treppe, rutschte schräger
zur Seite an die Mauer bis ihn auch dort der gelbe Nebel erreichte und ihn
zudeckte.
Gerade jetzt erreichte das geschäftige Treiben ihren ersten Höhepunkt.
Von überall her strömten die Menschen, manche von Hunger gepeitscht
an die vollen Tröge des Stillens. Fette Leiber sah man zu dieser Zeit
selten, aber auch niemand, der fasten konnte. Irgendwie hatte die Hektik und
Betriebsamkeit, so schnell sie auch auf den Betrachter wirken sollte, etwas
Behäbiges an sich und wenn man ganz vom Einzelnen wegsah, erstarrte das
Treiben zu einer Sülze einsamer Seelen.
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